Dunkle Rosen: Roman (German Edition)
war.
Seit das passiert war, hatte sie kaum fünf Minuten für sich allein gehabt. Das würde sich wieder ändern, dachte sie, doch sie würde Harper und die anderen aus ihrer ehrenamtlichen Familie noch einen Tag gewähren lassen, bevor sie sie verscheuchte.
»Was könnte eine metaphorische Bedeutung haben?«
»Diese, na ja, Vision, die du hattest. Über ihrem Grab zu stehen und Erde auf sie zu schaufeln.« Harper schreckte zusammen. »Ich will dich nicht aufregen.«
»Tust du auch nicht. Wer hatte denn Albträume, nachdem er die Fernsehserie am Samstagmorgen gesehen hatte? Wie hieß das noch, Im Land der Saurier ?«
»O Gott. Die Sleestaks.« Harper schauderte, nur halb im Scherz. »Die machen mir immer noch Albträume. Aber egal – was ich sagen wollte, ist, dass du nie an Amelias Grab gestanden hast, sie nie beerdigt hast. Sie ist vor langer Zeit gestorben. Wenn wir das Ganze allerdings metaphorisch betrachten, könnten wir sagen, du versuchst, ihr Grab zu öffnen – aber weil du irgendetwas verfehlst oder nicht findest, begräbst du sie stattdessen.«
»Das alles findet also nur in meinem Kopf statt.«
»Vielleicht setzt sie es dir hinein. Ich weiß es nicht, Mutter.« Roz überlegte einen Augenblick. »Mitch hat eine Theorie. Wir sprachen gerade darüber, bevor ich zusammengeklappt bin.«
Sie erzählte Harper davon und schlang ihm dabei den Arm um die Taille. Zusammen blieben sie am Rand des Wäldchens stehen und betrachteten das Haus.
»Scheint alles in allem gar nicht so weit hergeholt zu sein«,
sagte Harper. »Es war immer so, als wäre Amelia eine von uns.«
»Für mich stellen sich dadurch nur eine Menge neuer Fragen, aber es bringt uns der Antwort darauf, wer sie wirklich war, kein Stück näher. Eins weiß ich jedoch. Diese Tagebücher will ich mehr denn je zurückhaben. Wenn Jane das nicht schafft, knöpfe ich mir Tante Clarise selbst vor.«
»Möchtest du mich als Unparteiischen dabeihaben?«
»Gut möglich. Wenn Amelia zu unserer Familie gehört, verdient sie es, dass ihr Gerechtigkeit widerfährt. So stehe ich Tante Clarise allerdings nicht gegenüber. Meiner Ansicht nach wollte sie stets mehr, als ihr zustand. Ich weiß auch nicht, warum ich größeres Mitleid mit einer Toten habe, die vielleicht eine Blutsverwandte ist, vielleicht aber auch nicht, als mit einer Lebendigen, mit der ich zweifellos blutsverwandt bin.«
»Sie hat mir mal eine runtergehauen.«
Roz erstarrte urplötzlich. »Was hat sie?«
»Sie hat mir einmal ganz schön eine gelangt, als sie zu Besuch war und mich dabei erwischt hat, wie ich in der Küche auf die Arbeitsplatte geklettert bin, um an die Keksdose zu gelangen. Ich war ungefähr sechs, glaube ich. Sie haute mir eine runter, zerrte mich weg und schimpfte, ich wäre ein gieriger, respektloser kleiner Bengel.«
»Warum hast du mir das nicht erzählt? Sie hatte nicht das Recht, dich anzurühren. Ich hätte ihr dafür den Hals umgedreht.«
»Und anschließend mir«, bemerkte Harper. »Schließlich hattest du mir verboten, auf die Arbeitsplatte zu klettern und Kekse zu nehmen, ohne vorher zu fragen. Also steckte ich die Prügel ein und schlich mich davon.«
»Wenn du von irgendjemandem Prügel einzustecken hattest, dann von mir. Meine Kinder rührt sonst niemand an, und vor meinem Gericht verjährt ein solches Verbrechen niemals. So ein Rabenaas.«
»Na komm.« Harper drückte ihre Schultern. »Geht es dir nicht besser jetzt?«
»Ich glaube, das wird ihr noch Leid tun, bevor ich mit ihr fertig bin.« Roz ging mit ihrem Sohn zum Haus. »Du hättest wissen müssen, dass du an der Keksdose nichts verloren hattest, Harper Jonathan Ashby.«
»Ja, Madam.«
Roz knuffte ihn leicht mit dem Ellbogen. »Und grins mich nicht so an.«
»Habe ich doch gar nicht. Ich dachte nur gerade, dass jetzt wahrscheinlich auch Kekse darin sind.«
»Vermutlich.«
»Kekse und Milch, das klingt ziemlich gut.«
»Da dürftest du Recht haben. Komm, quengeln wir bei David so lange, bis er uns welche gibt. Aber das müssen wir sofort tun. Ich muss mich noch für eine Verabredung zurechtmachen.«
Roz wusste genau, welcher Stil und welche Farben ihr nicht nur schmeichelten, sondern ihr gut standen. Sie hatte sich für das Vintage-Kleid von Dior entschieden, wegen seiner klaren, fließenden Linien und der hübschen Farbe gesponnenen Goldes. Das gerade geschnittene Oberteil mit den schmalen, im Nacken gebundenen Trägern ließ Rücken und Schultern frei.
Doch dieser Rücken und
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