Dunkle Rosen: Roman (German Edition)
Stirn. »Nein, hat er nicht. Er hat sie gehört, aber nie gesehen. Ich habe sie in der Nacht gesehen, als er starb.«
»Das hast du mir noch gar nicht erzählt.«
»Ich habe dir nicht von jedem einzelnen Mal erzählt …« Roz brach ab und schüttelte den Kopf. »Nein, tut mir Leid, ich habe es dir nicht gesagt. Darüber habe ich noch nie mit jemandem gesprochen. Es ist sehr persönlich, und es tut immer noch weh.«
»Ich weiß nicht, wie es ist, einen so geliebten Menschen zu verlieren, so wie du es mit John erlebt hast. Ich weiß, für dich muss es sein, als steckte ich die Nase in dein Privatleben, und das tue ich ja auch. Aber es hängt alles zusammen, Roz. Ich muss das wissen. Um meine Arbeit tun zu können, muss ich solche Dinge wissen.«
»Daran habe ich nicht gedacht, als ich dir den Auftrag erteilte. Dass du so persönliche Dinge wissen musst. Warte.« Sie hob eine Hand, bevor Mitch etwas erwidern konnte. »Heute verstehe ich das besser. Wie du arbeitest, wie du versuchst, die Dinge zu sehen. Die Menschen. Die Pinnwand in der Bibliothek, an die du die Bilder hängst, damit du sehen kannst, wer diese Menschen waren. All die kleinen Details, die du zusammensuchst.
Das ist mehr, als ich erwartet hatte. Das meine ich im positiven Sinne.«
»Ich muss mich völlig in so eine Sache vertiefen.«
»So wie bei dem brillanten und spleenigen französischen Dichter.« Roz nickte. »Ich glaube auch, dass du alles wissen musst und dass ich dir von diesen Dingen erzählen kann, wegen dem, was wir einander bedeuten. Andererseits fällt es mir vielleicht gerade deshalb besonders schwer, dir davon zu erzählen. Es ist nicht leicht für mich, jemandem so nahe zu sein, einem Mann. Zu vertrauen und zu begehren.«
»Hättest du es lieber einfach?«
Roz schüttelte den Kopf. »Woher kennst du mich nur schon so gut? Nein, ich will es nicht einfach. Dem Einfachen traue ich nicht. In meinem Inneren setze ich mich ganz schön mit dir auseinander, Mitchell. Das ist ein Kompliment.«
»Danke, gleichfalls.«
Roz betrachtete Mitch, wie er dort stand, lebendig und voller Elan, und hinter ihm die Laube mit den noch schlummernden Rosen. Wenn die Sonne und die Wärme kamen, würden sie erwachen. Aber John, ihr John, war nicht mehr da.
»John kam aus seinem Büro in Memphis. Er war nach einer Besprechung erst spät auf dem Heimweg. Die Straßen waren rutschig. Es hatte geregnet, deshalb war es glatt, und es war neblig.«
Ihr Herz krampfte sich ein wenig zusammen, wie immer, wenn sie sich daran erinnerte.
»Er hatte einen Unfall. Irgendjemand war zu schnell gefahren und über die Mittellinie geraten. Ich war noch auf, wartete auf John und hatte mit den Jungen zu tun. Harper hatte einen Albtraum; Austin und Mason waren beide erkältet. Ich habe sie beruhigt, sie wieder hingelegt und wollte gerade ins Bett gehen. Ich war ein wenig unruhig, weil John noch nicht zu Hause war. Und da war Amelia; sie stand mitten in meinem Zimmer.«
Roz lachte halb auf und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht.
»Sie hat mich fürchterlich erschreckt; ich dachte sofort, o Gott, bin ich etwa schwanger? Glaub mir, danach war mir nun überhaupt nicht, nachdem ich gerade mit drei unruhigen, quengelnden Kindern zu tun gehabt hatte. Aber irgendetwas in ihrem Blick war ganz merkwürdig. Ihre Augen strahlten zu hell, und ich möchte sagen, zu boshaft. Das machte mir ein wenig Angst. Dann kam die Polizei, und ich habe nicht mehr an sie gedacht.«
Roz Stimme hatte die ganze Zeit über fest geklungen. Doch in ihren Augen, den länglichen, schönen Augen, spiegelte sich ihr Kummer.
»Das ist so schwer, so schwer. Ich kann es mir nicht einmal vorstellen.«
»Dein Leben ist plötzlich zu Ende. Es ist einfach zu Ende. Und wenn es wieder beginnt, ist es anders. Es ist nie wieder, wie es vor jenem Augenblick war. Nie wieder.«
Mitch fasste Roz nicht an, weder, um sie zu trösten, noch, um sie zu stützen. Was sie in diesem Moment im Herzen empfand, in diesem winterlichen Garten, gehörte einem anderen.
»Du hattest niemanden mehr. Weder Vater noch Mutter, weder Schwester noch Bruder.«
»Ich hatte meine Söhne. Ich hatte das Haus. Ich hatte mich selbst.« Roz wandte den Blick ab, und Mitch konnte sehen, wie sie sich zurückzog und die Tür zur Vergangenheit wieder schloss. »Ich verstehe, worauf du hinauswillst, und ich verstehe es doch nicht. Amelia hat vorher nie gegen jemanden protestiert, weder gegen John noch gegen einen der Männer, mit denen ich danach
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