Dunkle Rosen: Roman (German Edition)
die ersten Halme empor, die Osterglocken und Hyazinthen, die in Bälde aufblühen würden. Die Krokusse standen bereits in voller Blüte. Sie kamen so früh, dachte sie, und gingen so bald wieder.
Sie konnte die festen Knospen an ihren Azaleen sehen und den schwachen Schimmer an den Forsythien.
Als sie dort saß, geriet die Selbstbeherrschung, zu der sie sich gezwungen hatte, ins Wanken, und sie durfte endlich innerlich zittern. Vor Wut, vor Demütigung, vor Zorn, vor Schmerz. Sie gönnte sich den Luxus, im Meer all dieser dunklen Empfindungen zu treiben, während sie alleine in ihrem stillen Winkel saß.
Ihr Zorn bäumte sich zunächst auf und verebbte dann, bis sie wieder ruhig atmen konnte.
Sie hatte das Richtige getan, entschied sie. Sie hatte dem Feind die Stirn geboten, obwohl sie es hasste, so etwas in aller Öffentlichkeit zu tun. Aber es war immer besser, sich einem Kampf zu stellen, als davor davonzulaufen.
Hatte Bryce gedacht, das würde sie tun, fragte sie sich. Hatte
er geglaubt, in der Öffentlichkeit würde sie zerbrechen und gedemütigt die Flucht ergreifen, um ihre Wunden zu lecken?
Das war anzunehmen. Er hatte sie noch nie verstanden.
Im Gegensatz zu John, dachte sie und betrachtete die Laube, an der seine Rosen vom Frühjahr bis über den Sommer und weit in den Herbst hinein für sie blühen würden. John hatte sie verstanden und geliebt. Oder zumindest hatte er das Mädchen verstanden und geliebt, das sie damals gewesen war.
Hätte er auch die Frau geliebt, die aus ihr geworden war?
Ein merkwürdiger Gedanke, fand sie, legte den Kopf zurück und schloss die Augen. Hätte John noch gelebt, wäre sie vielleicht gar nicht die Frau gewesen, die sie heute war.
Er hätte dich verlassen. Das tun sie alle. Er hätte dich belogen und betrogen und dir das Herz gebrochen. Sich mit Huren vergnügt, während du zu Hause gesessen und auf ihn gewartet hättest. Das tun sie alle.
Ich muss es wissen.
Nein, nicht John, dachte Roz und kniff die Augen fester zu, als die Stimme in ihrem Kopf zischte. Durch seinen Tod bist du besser dran, als wenn er lange genug gelebt hätte, um dich zu ruinieren. Wie die anderen. Wie der, mit dem du jetzt ins Bett gehst.
»Wie erbärmlich von dir«, flüsterte Roz, »zu versuchen, meine Erinnerungen zu beschmutzen und die Ehre eines anständigen Mannes.«
»Roz.« Sie zuckte zusammen, als sie die Hand auf ihrer Schulter spürte. »Entschuldige«, sagte Mitch. »Sprichst du im Schlaf?«
»Nein.« Fühlte er sich nicht kalt an, oder war die Kälte bloß in ihr? Zusammen mit dem Flattern in ihrem Bauch. »Ich habe nicht geschlafen. Nur nachgedacht. Woher wusstest du, dass ich hier draußen bin?«
»David, sagte, er hätte durchs Fenster gesehen, wie du in diese Richtung gegangen bist. Vor über einer Stunde. Es ist ein
bisschen zu frisch, um so lange draußen zu sitzen.« Er nahm eine ihrer Hände und rieb sie zwischen seinen, während er sich neben sie setzte. »Du hast kalte Hände.«
»Das macht nichts.«
»Aber dir fehlt etwas. Du siehst traurig aus.«
Roz überlegte einen Augenblick und rief sich dann ins Gedächtnis, dass manche Dinge nicht privat bleiben konnten. Schließlich arbeitete Mitch für sie. »Das bin ich wohl auch. Ich bin ein bisschen traurig. Sie hat mit mir gesprochen, in meinem Kopf.«
»Gerade?« Mitchs Hände schlossen sich fester um ihre.
»Ja. Du hast unser Gespräch unterbrochen; von ihrer Seite aus war es allerdings die alte Leier, von wegen ›die Männer sind alle Verbrecher‹.«
Mitch ließ seine Blicke über den Garten schweifen. »Ich glaube, nicht einmal Shakespeare hätte einen hartnäckigeren Geist erfinden können als deine Amelia. Ich hatte gehofft, du würdest in der Bibliothek vorbeischauen. Aus verschiedenen Gründen. Das hier ist einer davon.«
Er drehte ihr Gesicht zu sich um und presste den Mund auf ihren.
»Irgendetwas stimmt doch nicht«, stellte er dann fest. »Da ist noch etwas anderes.«
Wie konnte er nur so gut in ihr lesen? Wie konnte er sehen, was sie vor den meisten Menschen zu verbergen vermochte? »Nein, ich bin nur etwas verstimmt.« Doch sie entzog ihm ihre Hand. »Vorhin gab es wieder Weibertheater. Männer machen längst nicht so ein Getue, oder?«
»Warum erzählst du mir nicht davon?«
»Das wäre Zeitverschwendung.«
Mitch wollte noch etwas sagen; Roz spürte, dass er sich beherrschen musste, um nicht nachzuhaken. Stattdessen klopfte er an seine Schulter. »Magst du deinen Kopf hier
Weitere Kostenlose Bücher