Dunkle Schwinge Bd. 2 - Der dunkle Pfad
gelegentlichen Revolten einzelner Kolonien oder Scharmützeln mit Piraten abgesehen, hatte er praktisch keine Gelegenheiten gehabt, sich in Kampfsituationen zu bewähren.
Wahrscheinlich war er dem Tod noch nie so nah gewesen wie in diesen Minuten. Zudem ließ die Aussicht, durch die Krallen eines brutalen und gänzlich unberechenbaren Fremden zu sterben, in John Maisel eine Angst wach werden, wie er sie nie zuvor gespürt hatte. Er wusste, was es hieß, ein guter Offizier zu sein, doch zwischen den Dienstvorschriften und dieser Situation lagen Welten.
»Entscheiden Sie sich«, sagte Ch’k’te ruhig.
Maisels Gesicht reflektierte das Licht der Lampen über dem Tor. Er sah zu seiner durchnässten Vorgesetzten. Ihre Pistole war nach wie vor auf ihn gerichtet, ihre Augen wirkten kalt und ausdruckslos.
»Wenn Sie der Commodore sind«, überlegte er, »dann erfülle ich meine Pflicht, wenn ich Ihnen helfe. Sind Sie die Doppelgängerin, dann bin ich ein Verräter.« Er ließ die Schultern sinken. »Was soll’s? Ich kann nur einmal sterben. Ihre Befehle, Ma’am?«
Jackie sah zu Ch’k’te, der ihr zunickte und seine Kralle zurückzog. Maisel atmete erleichtert auf.
»Ich muss in mein Büro gelangen«, sagte sie. »Auf dem Weg dorthin werden wir vermutlich auf Gegenwehr stoßen, die wir nicht vermeiden können. Ich brauche Ihre Hilfe, um auf die Basis zu gelangen. Die Aliens erwarten uns bereits, aber sie rechnen damit, dass wir uns zu Fuß nähern.« Sie steckte die Waffe zurück ins Halfter und nahm den kleinen Druckverband, den Ch’k’te ihr reichte. Dann beugte sie sich vor und versorgte die Schnitte, die der Zor dem Lieutenant zugefügt hatte.
Maisel öffnete das Fenster auf der Fahrerseite und nahm seine ID-Karte zur Hand. »Sie werden mir vertrauen müssen.« Es war eine Feststellung, die so klang, als besitze der junge Offizier nicht mal mehr die Energie, noch irgendwelche Fragen zu stellen.
Es dämmerte immer noch, als das Bodenfahrzeug vor dem Hauptquartier vorfuhr. Maisel hatte seine ID-Karte gezeigt und war mit seinen beiden vorgesetzten Offizieren auf die Basis gefahren. Um diese Zeit herrschte Ruhe, da der Großteil des Personals noch schlief.
Die drei Offiziere betraten das Gebäude, grüßten im Vorbeigehen die diensthabenden Marines und begaben sich geradewegs zum Aufzug. Zwar wirkte alles ganz normal, doch Jackie war so nervös, als hätten alle Wände Augen.
Oder Tentakel dachte sie schaudernd.
Der Lift brachte sie zügig ins oberste Stockwerk und entließ die Gruppe in einen schwach beleuchteten Korridor. Durch die Glasscheiben am anderen Ende des Flurs konnten sie im Morgenlicht bereits den Horizont wahrnehmen.
Jackie deutete auf eine Tür, die Pistole schussbereit in der Hand. Die Tür glitt zur Seite und gab den Blick frei auf ihr vertrautes Büro. Es war aufgeräumt … und leer. Sie gab ihren Offizieren ein Zeichen, woraufhin die beiden den Raum systematisch nach verborgenen Sendern und Wanzen absuchten. In der Zwischenzeit ging sie zu der Wand, an der ein Holo des Sol-Systems hing.
Einen Moment lang hielt sie inne, sah nach oben und nach links, wo ihr Akademie-Diplom hing. Nach allem, was in den letzten Tagen geschehen war, schien die Wirklichkeit sich nicht mehr so ganz mit ihren Erinnerungen zu decken … als würde dies alles aus einem früheren Leben stammen oder einem anderen Menschen gehören. Dort stand ihr Name geschrieben: JACQUELINE THERESE LAPERRIERE. Das war sie. Oder vielleicht doch nicht?
Mit dem rechten Daumen berührte sie das Holo an der Stelle, an der sich die Basis auf dem Erdmond befand. »Abdruck identifiziert«, erklärte eine Stimme.
»Stimmerkennung ein«, sagte sie. »Commodore Jacqueline Therese Laperriere.«
»Stimmerkennung positiv.«
Ch’k’te und Maisel hatten die Suche abgeschlossen und sahen Jackie zu. Hätte sie sich zu den beiden umgedreht, wäre ihr der überraschte und neugierige Blick ihres XO aufgefallen.
»Retinascan ein.«
Sie machte einen Schritt nach rechts und stellte sich dort vor das Holo, wo der Mars zu sehen war. Ein blassgrüner Lichtstrahl trat aus dem Planeten aus und strich über ihr Auge, flackerte kurz und schaltete sich dann ab.
»Retinascan positiv. Ihre Befehle, Commodore?«
»Übertragung auf gesicherten Kanälen. Priorität Alpha Eins Eins Null. An die Kommandanten aller Schiffe im Militärdistrikt Cicero, von Commodore Laperriere. Weiterleitung an die Flottenbasis Adrianople und das Hauptquartier der Admiralität,
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