Dunkle Schwinge Bd. 2 - Der dunkle Pfad
konnte, die hoch oben am Himmel flogen und sich eine Verfolgungsjagd lieferten. Er wusste, sein Weg war für ihn entschieden worden.
Während Jackie dalag und nichts sehen konnte, fühlte sie, wie der Verstand des Aliens in den ihren vordrang. Es war weder sanft noch behutsam. Stattdessen begann eine methodische Suche, die sie vor Entsetzen und Angst zusammenzucken ließ, obwohl es dadurch nur noch schmerzhafter wurde.
Sie war blind und mit einer Macht konfrontiert, so gewaltig, dass sie ihr nichts entgegenzusetzen hatte. Die Angst war wie eine starke Droge, doch so wie bei den meisten Drogen kam irgendwann der Punkt der Sättigung. Nachdem sie versucht hatte, die geistigen Vorstöße des Vuhl abzuwehren oder sich ihnen irgendwie zu entziehen, was nur noch schlimmere Schmerzen nach sich zog, wurde ihr klar, dass ihre Angst eine Grenze kannte, jenseits derer sie gar nichts mehr fühlen würde.
Längst vergessene Bilder und Erinnerungen zogen durch ihr Bewusstsein – das Geräusch einer Shuttlelandung auf einem Hangardeck, das Kreischen des Fahrgestells, Metall auf Metall … die geometrische Präzision eines Dutzends salutierender Arme … der schwache antiseptische Geruch frischer Bettwäsche im Krankenhaus auf Shannon’s World …
Sie hatte Angst, aber der Punkt der Lähmung lag bereits weit hinter ihr. Sie hatte schon Schlimmeres erlebt, auch wenn ihr Verstand nun für jeden Schrecken und jede Furcht offen war, die sie bislang hinter einer Mauer aus purer Vernunft verborgen gehalten hatte.
Sie kannte den Tod auf dem Schlachtfeld, sie hatte mit angesehen, wie ein Raumschiff unter konzentriertem Beschuss explodiert war.
Sie hatte John Maisel durch einen einzigen Gedanken sterben sehen.
Hass gab ihrer Wut zusätzliche Nahrung, so sehr, dass sie die Fäuste ballen und ihre Arme und Beine anspannen konnte. Sie hatte nie ihre Gefühle gezeigt, sie war ein guter Soldat gewesen, wie man so sagte: den Kopf erhoben, niemals zum Aufgeben bereit. Doch das hier war kein gewöhnlicher Feind, und sie verspürte keinen gewöhnlichen Hass. Eine so mächtige, so feindselige und bösartige Kreatur verdiente es, jetzt und hier von ihr getötet zu werden.
Auf einmal hörte sie eine Stimme in ihrem Kopf sagen: Dies ist enGa’e’Li – die Kraft des Wahnsinns.
Nur langsam begriff sie, dass das geistige Sondieren ein Ende genommen hatte und dass sie allmählich klarer zu sehen begann – auch wenn sie noch kaum die Umrisse des Raums oder die Konturen dieser Form erkennen konnte, die über ihr zu schweben schien.
Ich hätte bei Ihnen nicht das Talent einer Fühlenden erwartet, sagte der Alien. Aber Sie werden nicht lange genug leben, um aus diesem Geheimnis Nutzen zu ziehen. Er hob die Hände, und ein Keil aus purem Schmerz fraß sich durch ihre Stirn. Sie schrie, als sich der Schmerz tiefer und tiefer in ihren Schädel bohrte. Inzwischen konnte sie jedoch etwas klarer sehen. Der Raum war voller Vuhl, einige befanden sich mitten in der Verwandlung zum Menschen oder zum Zor, andere hatten ihre Metamorphose bereits abgeschlossen. Einige vertraute Gesichter waren zu erkennen, darunter Unteroffiziere, deren Dienstakte sie kannte, Offiziere des Geschwaders … und sogar Ch’k’te …
»Nein, nicht auch Sie, oder?«, fragte sie schwach, während sich der glühende Schmerz in ihrem Verstand einnistete und sie sah, wie Noyes zurückwich, bis er aus ihrem Gesichtsfeld verschwunden war. Ch’k’te – oder das Wesen, das wie er aussah – kam nach vorn und streckte seine Tentakel-/Klauenhände aus, um ihre Stirn zu berühren. Sie brachte eine schier übermenschliche Leistung zustande, als sie ihn wegstieß und unsicher auf die Füße kam.
»… JJJaaacccccckkiiieee …«, sagten die Aliens, die sich schwankend um sie herum bewegten. Sie befand sich irgendwo in den Offiziersunterkünften, aber nicht in ihrem eigenen Quartier. Sie hörte ein Dröhnen in ihrem Kopf.
»Ihr … kriegt mich … nicht, ihr … Bastarde …«, brachte sie heraus. Mit letzter Kraft schleppte sie sich zur Tür, fand sich im Flur wieder und sah ein Licht an dessen Ende: ein offenes Fenster. Kalte Luft wehte ihr entgegen. Sie musste sich einige Stockwerke über dem Parterre befinden, doch es gab eine Chance, eine Möglichkeit, das hier zu überleben. Die Vuhl würden ihr diese Chance nicht geben. Sie rannte los, auf das Fenster zu, musste sich aber an der Wand abstützen, um nicht den Halt zu verlieren.
»Laaaaassssttttt sssssiiiiieeee niiiicccchhhttt
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