Dunkle Sehnsucht
konfrontiert worden war, mit denen ich einst selbst um mich geworfen hatte, war mir meine Anfangszeit mit Bones wieder eingefallen. Irgendwo in meinem Hinterkopf regte sich eine Erinnerung an damals. Längst ver-gessene Worte, die Bones mir gegenüber geäußert hatte, als er sich einbildete, ein anderer Vampir hätte mich auf ihn angesetzt, weil er nicht glauben konnte, dass ich ein Halbblut war.
Nur mal angenommen, du wärst tatsächlich ein Halbblut. Davon hat man zwar noch selten gehört, aber darauf kommen wir später zurück.
»Bones, was ist aus dem anderen Halbblut geworden? Du hast gesagt, man hätte selten von so einem Fall gehört, also muss es vor mir wenigstens noch einen anderen gegeben haben, oder?«
Er stieß langsam und zischend die Luft aus, was er nur tat, wenn er aufgebracht oder erregt war, und die Umstände waren alles andere als erregend.
»Kätzchen, das ist jetzt wirklich nicht der richtige Zeitpunkt ...«
»Und ob«, fiel ich ihm ins Wort. Meine Stimme war schärfer geworden, als ich meinen Verdacht bestätigt sah. »Rede.«
Timmie beobachtete uns interessiert, sagte aber nichts.
Bones fuhr sich frustriert mit der Hand durchs Haar, bevor er meinem Blick begegnete.
»Fahren wir ein Stück. Wir müssen ohnehin deinen Freund nach Hause bringen.«
Er wollte also keinesfalls belauscht werden. Wir würden Timmie natürlich erst zu Hause absetzen, wenn wir ihm er-klärt hatten, warum wir in der Sache mit den Ghulen seine Hilfe brauchten. Ich nickte knapp und bedeutete Timmie, dass er uns folgen sollte.
»Komm, unser Wagen steht da hinten.«
»Ich bin selbst mit dem Auto hier«, begann er, verstummte aber, als er den strengen Blick sah, den Bones ihm zuwarf.
»Aber das kann ich ja später holen«, beendete Timmie lahm seinen Satz.
»Kluge Einstellung«, bemerkte Bones. »Nach dir, mein Freund.«
Wir waren sieben Meilen vom Club entfernt unterwegs auf der Interstate 70, und Bones hielt sich wie immer nicht an die Geschwindigkeitsbegrenzung, als er weitersprach.
»Einmal, im vierzehnten Jahrhundert, gab es eine Frau, die als Halbvampirin bekannt war. Vielleicht gab es ja noch andere, aber dann haben sie es geschafft, unentdeckt zu bleiben. Sie nicht. Sie hieß Jeanne d'Arc, aber ihr kennt sie sicher besser unter dem Namen Johanna von Orleans.«
Kurz dachte ich, Bones würde einen Witz machen, auch wenn er eigentlich nicht der Typ für solche Dummheiten war. Verdutzt wie ich war, wurde mir dann aber bewusst, dass er mit todernstem Gesicht auf die Straße starrte, also war es kein Witz.
»Johanna von Orleans?«, fragte ich nach. »Die heilige Johanna? Sie ist das einzig andere bekannte Halbblut?« Das war wirklich nicht leicht zu toppen!
»Es war vor meiner Zeit, aber ich erzähle euch die Geschichte, wie ich sie von Mencheres kenne. Damals war Johanna unter den Menschen bekannt für ihre Kampfkunst und religiösen Überzeugungen. Die Vampire erkannten, dass sie ein Halbblut war, als einer sie im Kampf gesehen hatte. Apollyon machte sich ihren ungewöhnlichen Status zunutze, um unter den Ghulen in Europa eine Revolution zu entfachen. Er behauptete, Johanna könnte die mächtigste Untote der Welt werden, wenn sie ihre Vampirkräfte mit denen eines Ghuls verbinden würde, und dann würde sie alle Vampire gegen die Ghule vereinen.«
»Anders ausgedrückt, der gleiche Mist, den er über mich verbreitet.« Meine anfängliche Überraschung wich Zorn.
»Und ich nehme mal an, sie hat genau wie ich nichts dergleichen im Sinn gehabt.«
»Apollyon hatte damals nicht die geringsten Beweise, und gefunden wurden auch keine, aber manch einer war dennoch ängstlich oder dumm genug, ihm zu glauben. Einige Ghule begannen, sich aus der Gemeinschaft der Untoten zu entfernen, herrenlose Vampire anzugreifen. Irgendwann fielen sie sogar offen über kleinere Vampirsippen her, wobei sie sich zuerst nur die schwächsten und am wenigsten in die Gesellschaft eingebundenen vorknöpften. Gerüchten zufolge wollten sie eine Armee zusammentrommeln, um einen Generalangriff auf alle Vampire zu starten. Ein Endkampf der Spezies schien unvermeidbar, aber als Johanna auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde, konnte ein Waffenstillstand zwischen Vampiren und Ghulen ausgehandelt werden.
Seitdem hält Apollyon einigermaßen Ruhe ... bis jetzt.«
Denn jetzt war ein anderes Halbblut aufgetaucht, das er als Sündenbock für seine Völkermordabsichten benutzen konnte. Und die Übergriffe auf herrenlose Vampire ließen
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