Dunkle Spiegel
seinen Augen verändert. Sie hatten einen eigenartigen, harten Schein angenommen. War es Wut oder Zorn, was ich da in seinem Blick aufglimmen sah? - Ich konnte es ihm nicht verübeln, wusste aber, dass diese Gefühle bei den Ermittlungen nicht immer förderlich waren. Gleichfalls waren sie aber auch häufig die Energie, die uns anspornte und immer weiter vorwärts trieb.
Nachdem ich noch ein paar Worte mit unseren Kollegen von Team 2 gewechselt hatte, gingen wir zurück zum Auto. Ich war froh wieder an der frischen Luft zu sein. Der Morgen war klar und frisch, der Himmel graublau.
“Wohin fahren wir als nächstes?” fragte mich Ramirez.
Ich nahm ein Foto aus der Tasche, das ich im Schlafzimmer auf einem der Regale gesehen hatte. Es war das einzige Foto, das nicht eingerahmt gewesen war. Ich hielt es meinem Partner unter die Nase. Ein junger Mann war darauf zu sehen, lächelnd, mit Blumen in der Hand und mit einem warmherzigen Blick.
“Ihr Freund vielleicht?” meinte er.
Ich nickte zustimmend. “Auf der Rückseite ist seine Adresse. Er hat dieses Foto auf eine Postkarte geklebt und ein wenig Text dazu geschrieben. Und so wie es aussieht, hat er sie irgendwie sehr gern gehabt.”
“Auf geht´s.” brummte Ramirez.
Als wir eingestiegen waren, sagte Chapler mit fester Stimme: “Setzen Sie mich bitte vorher am Department ab. Ich möchte gleich mit der Arbeit am Computer beginnen. Und … dürfte ich auch die Akte mitnehmen?”
Verwundert drehte ich mich zu ihm um.
“Natürlich können Sie sie bekommen. Aber wozu?”
“Ich habe das Gefühl, dass ich Informationen über sie finden kann, die nicht in diesen Akten stehen. Vielleicht ein bisschen was Geheimnisvolles … sehr privates, wer weiß?!” Ich nahm das Foto des Opfers aus dem Ordner und gab den Rest dann zur Rückbank.
Chapler begann gleich, ihn durchzublättern und darin zu lesen.
“Verlassen Sie sich auf Ihren ersten Eindruck.” sagte ich nach ein paar Minuten zu ihm. “Was sagt Ihnen die Akte? Welchen Eindruck haben Sie?” Chapler überlegte kurz, wie er es wohl am besten und zutreffendsten formulieren konnte. Dann meinte er leichthin:
“Zu sauber, finde ich. Viel zu sauber! Keine Ecken und Kanten! Diese Frau scheint die Unschuld in Person zu sein.” Dann schwieg er wieder und studierte die Akte weiter.
Ich nickte in den Rückspiegel.
Ramirez grinste und sagte anerkennend: “Willkommen im Team!”
*** 4 ***
Ihr werdet nichts finden, ihr dummen Wichte!
Fast schon vergnügt stand er in der Menge gegenüber des Hauses, vor dem sich ein halbes Dutzend Polizeifahrzeuge kreuz und quer aufgestellt hatten. Er fiel überhaupt nicht auf in diesem Pulk aus Hausfrauen, die wild durcheinander schwatzten und krähten, stehen gebliebenen Passanten, die sich eine solche Attraktion nicht entgehen lassen wollten und Anwohnern, die von dieser Straßenseite eine bessere Sicht auf das ganze Spektakel hatten.
Attraktion! Ja, das war seiner Ansicht nach sogar die beste Bezeichnung für das, was sich hier abspielte. Kopfschüttelnd stand er neben einer älteren, dicklichen Dame, die ihren Dackel auf dem Arm tragend schon seit guten zehn Minuten über die “nutzlose Polizei” wetterte, wie sie es nannte. Nun , dachte er bei sich, die Polizei kann einfach nicht viel machen - schon mal so betrachtet?
“So eine Sauerei! Und das in unserer schönen Wohngegend! Eine Schande ist das! Jawohl.” Sie hatte sich nun ruckartig von ihrer bisherigen Gesprächspartnerin, einer älteren Dame mit Hörgerät und Lockenwicklern im Haar abgewandt und sah ihn nun mit einem herausfordernden Blick an, der nur allzu deutlich zeigte, dass sie jetzt nichts anderes als Zustimmung seinerseits akzeptieren würde. “Da muss ich Ihnen recht geben.” meinte er daraufhin mit einem mitleidigen Blick. Die Mischung aus übermäßig scharfem Parfum und Gebissreiniger, dazu noch ihr dickes Make-up, das auch bei den leichtesten Bewegungen fast schon von ihren Wangen zu blättern drohte und ihre leicht quietschige Stimme ließen in ihm so etwas wie Ekel aufkeimen. Nach Möglichkeit vermied er es, sie direkt ansehen zu müssen oder sich von ihr anhauchen zu lassen. “Was genau ist denn eigentlich passiert?”
“Ach, irgend so ein Flittchen hat sich da oben auf eine dieser schmutzigen Orgien eingelassen - und das ging wohl etwas zu weit.” Das Flittchen hatte sie stark betont und scharf ausgesprochen; die Orgie hingegen hatte sie so locker hinzugefügt, als handele es sich dabei um
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