Dunkle Spiegel
wie seine Hand für einen Augenblick bei diesem Gedanken leicht erzitterte, und er umklammerte seine Waffe sofort fester.
Hinter jeder Biegung konnte Karl Gumbler stehen!
Der Mann, der für mindestens sieben Morde verantwortlich war! Würde man es ihm ansehen? Die Fotos aus dem Haus der Gumblers hatten einen ganz gewöhnlichen Mann gezeigt, dem man tagtäglich überall hätte begegnen können.
Schlicht und ergreifend unauffällig und durchschnittlich.
Aber niemand wusste, was sich hinter diesem normalen Äußeren abspielte, worauf seine Augen programmiert waren und was Gumbler reizte - oder was ihn dazu provoziert hatte zu tun, was er getan hatte. Wieder dachte er zurück an den Mann, den die Polizisten damals aus dem Nachbarhaus abgeführt hatten. Diese Augen!
Sie waren das Verräterischste an ihm gewesen. Chapler war sich absolut sicher: würde ihm heute auf der Straße ein Mann oder eine Frau mit einem solchen Blick und diesen Augen begegnen, würden in ihm bestimmt die Alarmglocken schrillen!
Doch leider sah man all diesen Perversen und Irren, den Mördern und Vergewaltigern ihre dunklen Gedanken für gewöhnlich nicht an! Gumbler hätte ihm auf der Straße oder im Supermarkt begegnen können - und wäre ihm vielleicht auf den ersten Blick sogar sympathisch gewesen!
Was für eine Ironie!
Und genau das war es doch wohl, worauf all diese Frauen hereingefallen waren, schoss es ihm durch den Kopf. Diese Sympathie, dieses Umschmeicheln mit Komplimenten und Verständnis. Und all das auf einer anonymen Plattform: dem Internet. Eigentlich sogar clever, musste er anerkennen. Wäre es nur um Sex gegangen, so wäre er der neue Casanova des einundzwanzigsten Jahrhunderts, der Don Juan des Internets.
Doch es war ihm eben nicht nur um Sex gegangen, stellte er verbittert fest.
Diese Frauen litten jetzt nicht nur mehr an dem bittersüßen Liebesschmerz ihrer gebrochenen Herzen - nein, sie waren tot und lagen jetzt auf kalten Metallbahren in den Kühlfächern der Leichenhalle!
Er erreichte die nächste Biegung und lugte vorsichtig um die Ecke.
Ein kurzer Gang lag vor ihm, lediglich von einer einzigen Lampe erleuchtet. Niemand war zu sehen. Er wagte sich aber auch noch nicht ganz vor, so dass er den Gang komplett hätte überblicken können. Irgendetwas in ihm warnte ihn leise. Aber er hatte keine andere Möglichkeit.
Er fasste die Waffe fester und spannte den Arm an, bereit sekundenschnell anzulegen - und notfalls auch zu feuern.
Ein tiefer Atemzug.
Ein Schritt, und er war um die Ecke gehuscht. Sofort drückte er sich gegen die Wand und lauschte einen Augenblick. Aber außer dem lauten Rauschen seines Blutes konnte er sich auf keine der ihn umgebenden Geräusche konzentrieren.
Er drehte langsam den Kopf nach links.
Und da stand jemand!
Eine dunkle Gestalt, etwa fünf Meter von ihm entfernt und in einer leicht geduckten Haltung befand sich dort ebenso an die Wand gepresst wie er. Und so wie Chapler selbst bedeckte ihn die Dunkelheit, die sich um die Corona der altersschwachen Glühbirne ausdehnte und alles verschluckte.
Chaplers Herz begann wie wild zu hämmern und er spürte plötzlich, wie seine Knie wackelten. Hatte er noch Kraft und die Kontrolle über seine Beine? Sie fühlten sich an, als würden sie ihm jeden Augenblick den Dienst verweigern wollen.
Das alles ging ihm im Bruchteil einer Sekunde durch den Kopf.
Doch er wusste: er musste jetzt handeln!
Er schluckte noch einmal, machte dann ohne einen weiteren Gedanken zuzulassen einen großen Schritt, stellte sich in Schussposition auf den Gang und hob sofort die Waffe, instinktiv auf die Stelle zielend, wo er das Herz seines unbekannten Gegners vermutete.
“Polizei! Hände hoch! Na los!”
Mit einer wuchtigen Bewegung und scheinbar unbeeindruckt durch Chaplers Aufforderung war die Person ruckartig frontal zu ihm in Stellung gegangen. Und etwas Metallisches blitzte für eine Sekunde in seiner Hand!
*** 77 ***
Wie viele Gänge gab es hier denn noch?
Ich war mir sicher, vom Hauptgang durch den ersten Tunnel zu der Abzweigung gekommen zu sein, an der ich mich von Chapler getrennte hatte. Dann war ich der Richtung gefolgt, in der Chapler verschwunden war. Aber mir schien, als würde ich schon eine Ewigkeit durch diese tunnelartigen Röhren rennen.
Langsam dämmerte mir, welche Ausmaße diese unterirdischen Gänge und Schächte tatsächlich hatten – was gleichzeitig bedeutete, dass sich so unzählige Versteck- und Angriffsmöglichkeiten daraus
Weitere Kostenlose Bücher