Dunkle Tage, helles Leben - Best Love Rosie
mein Vater krank wurde, bedeutete das Auftauchen des Badeanzugs, dass die Reise zur Hütte bevorstand. Die Nachbarn fingen wieder an, mit dem Bus zum Dollymount Strand zu fahren, bepackt mit Campingkochern und mit Sandwiches, die in fettabstoßendes Butterbrotpapier gewickelt waren. Und Min holte aus dem obersten Fach in ihrem Kleiderschrank die braune Papiertüte, die schon ganz abgegriffen und weich war. In dieser Tüte bewahrte sie den Badeanzug auf, und der Duft der Mottenkugel, die ihn schützen sollte, wurde jedes Jahr schwächer.
Ich bekam nie eine richtige Antwort auf meine Frage, wo sie den Badeanzug eigentlich herhatte.
»Es ist ein Bandeau-Modell«, erklärte Min einmal, woraus ich schloss, dass sie ihn aus einer Zeitschrift oder einem Katalog bestellt hatte, denn »Bandeau« war in unserem Haushalt eine Art Zauberwort. Der Badeanzug hatte gekräuselte Seiten und an den Oberschenkeln einen zweifingerbreiten Volant.
»Im Kino habe ich mal Esther Williams in so einem Badeanzug gesehen«, sagte Min.
»Aber Esther Williams schwimmt immer«, entgegnete ich.
Sie reagierte nicht.
Mit der Zeit verfärbten sich die großen weißen Punkte gelblich, und das mit Stäben gestützte Oberteil führte ein gewisses Eigenleben, weil Min immer dünner wurde. Mein Vater hatte allerdings etwas gegen diesen Badeanzug, und das änderte sich nie.
»Du gehst in diesem Ding aber nicht nach draußen, oder?«, sagte er immer. »Nicht wahr, meine Liebe?«
Er nannte Min nur »meine Liebe«, wenn er irgendwie sauer auf sie war – sofern das überhaupt je vorkam.
Und sie provozierte ihn – sofern das überhaupt möglich war.
»Warum denn nicht?«, rief sie, trug den Korbsessel nach draußen vor die Hütte und setzte sich demonstrativ hinein.
Eines Morgens in diesem magischen Monat August ging ich gerade vom Schwimmen zurück zum Haus. Ich hatte ein Handtuch um die Hüften geschlungen, und meine Brüste trockneten in der Morgensonne. Plötzlich kam der Hund zu mir zurückgelaufen, rannte wieder davon und bellte dabei wie verrückt. Als ich hochblickte, sah ich, wie Andy gerade den Blick von mir abwandte. Er stand auf der Böschung hinter den Felsen am Ende des Strands, nur ein paar Meter entfernt.
»Ich setze schon mal Wasser auf!«, rief er über die Schulter und lief davon, während ich das Handtuch losband und nun unter den Achelhöhlen um mich wickelte. Ich spürte, dass ich rot wurde. Aber ich ermahnte mich: »Es ist egal! Es macht nichts. Es ändert gar nichts.«
In den letzten Tagen hatte ich nämlich – fast erschrocken den Atem anhaltend – immer wieder das Gefühl gehabt, absolut glücklich zu sein. Vielleicht das erste Mal in meinem ganzen Leben. Abends im Bett zählte ich in Gedanken die positiven Dinge in meinem Leben auf, angefangen mit dem sauberen, bequemen Bett. Und ich überhäufte den da oder das da oben mit Bruchstücken aus sämtlichen Gebeten, die mir in den Sinn kamen. Ich hatte dieses wunderbare Haus. Ich hatte einen Hund, der aus dem Nichts zu mir gekommen war. Ich hatte meine Freundinnen in der Nähe. Ich hatte Andy, der mir half. Bald würde ich wieder von Markey hören, und egal, ob unsere »Zehn Gedanken« je das Licht der Welt erblickten – sie hatten uns wieder
zusammengeführt. Meine Tante Min war auf Abenteuertour, aber sie würde bald wieder nach Hause kommen. Und – ich war in Irland, in diesem Land, das, so elend es auch sein mochte und so elend es vor allem früher gewesen war, doch genug zu bieten hatte, dass ich dort leben konnte.
Was mir in vielen Ländern dieser Erde buchstäblich nicht gelungen war. In Mali, weil mir von den Malaria-Medikamenten übel wurde, in Osaka, weil der Bezirk, in dem sich die Schule befand, so unglaublich laut war, in Managua wegen des alles dominierenden Machismo. Ich hatte in Kapstadt die omnipräsente Gewalt gegen Frauen nicht ausgehalten, obwohl die Männer, mit denen ich zusammenarbeitete, unglaublich nett waren. In Lahore hätte ich in einer palastartigen Villa wohnen und maßlos viel Geld verdienen können. Ich hätte nur einen Bericht über ein Fernstudien-Projekt der UNICEF schreiben müssen. Aber dann sah ich den Rotlichtbezirk, die zehn- und elfjährigen Mädchen mit ihren grell geschminkten Gesichtern und den Verletzungen an Armen und Beinen, und ich lehnte den Auftrag ab.
Die Länder, in denen die Frauenverachtung institutionalisiert war, kamen für mich sowieso nicht infrage. Ich hatte keine Lust, mir das Autofahren oder Trinken
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