Dunkle Tage, helles Leben - Best Love Rosie
und mich lesbische Liebe eigentlich nicht schockierte.
Bringt mich die Vorstellung, dass man über einen Menschen nach seinem Tod völlig überraschende Dinge erfahren kann, aus dem Konzept?, fragte ich mich. Nein, eigentlich fand ich es durch meine Lebenserfahrung inzwischen absolut normal, dass in jeder noch so transparent erscheinenden Existenz ein Geheimnis schlummerte.
Ich ging schnell wieder zurück ins Haus, wenn die Hochzeiten auf der anderen Seite der Mündung richtig in Schwung kamen. Sobald die Sonne hinter dem Horizont verschwand und mit ihr das belebende Element, offenbarte sich die ganze Tristesse meiner Situation, und es ging mir besser, wenn ich mich derartigen Offenbarungen nicht aussetzte.
Dann wurde das Wetter richtig winterlich. Weil ich immer noch am Milbay Point war, kam Tessa mich besuchen. Ich hatte am Telefon nebenbei erwähnt, dass ich am Mittwoch nach Milbay wollte, und sie wartete im Harbour Nook, bis sie mich vorbeigehen sah. Aber ich beugte mich nicht den vollendeten Tatsachen. Ich trank zwar einen Kaffee mit ihr, sagte aber, sie solle nicht mit mir zum Haus fahren. Wenn sie wirklich meine Freundin sei, dann müsse sie meine Wünsche respektieren. Ich wollte mit niemandem zusammen sein, ich wollte nicht reden und nicht lächeln. Ich konnte es einfach nicht. Und ich wollte ihr nicht gestatten, ihre temperamentvollere Vitalität dafür einzusetzen, mich umzustimmen. Sie musste mir vertrauen und mich in Ruhe lassen.
»Aber wenn du krank wirst …«
»Ich werde nicht krank«, entgegnete ich, und ich hörte das Echo von Schwester Cecilias Stimme, die mir sagte, Min sei nicht krank. Damals, als sie zu uns gekommen war, um mit Min
zu reden, weil mein Dad und ich Angst hatten, sie könnte ihren Traum von einer Karriere als Opernsängerin in die Tat umsetzen und uns verlassen.
Und wieder half mir Schwester Cecilia, genau wie damals. Weil ich über diese Zeit nachdachte und versuchte, etwas daraus zu lernen. Wusste ich, was mir fehlte – so wie Min es unterschwellig für sich gewusst hatte? Ich erinnerte mich an ein Gespräch mit ihr: Ich hatte in der Zeitung eine Meldung gelesen, dass Maria Callas aus einer Aufführung in Rom davongestürmt war, und diesen Artikel las ich Min vor, weil wir beide Maria Callas aus dem Radio kannten. Ich sagte, dass nie über sie geschrieben wurde, außer wenn es einen Skandal gab – aber dass sie mehrere Sprachen beherrschte und sehr viel von Musik verstand, darüber redete keiner. Also wusste Min, dass es auf der Welt eine Art von harter Arbeit gab, die anders aussah als ihre eigene harte Arbeit. Diese andere Arbeit hatte Anteil an etwas Schönem, das die Menschen emotional berührte. Eine große Sängerin trug zum Ruhm und zur Herrlichkeit der Welt bei.
Wenn es etwas gab, was Min nie kennengelernt hatte und niemals kennenlernen würde, dann waren das Ruhm und Herrlichkeit.
»Ich bin nicht unglücklich«, sagte ich zu Tessa, als ich sie zu ihrem Auto begleitete. »Aber ich muss so lange bleiben, bis ich weiß, was mir fehlt, was ich vermisse.«
Sie seufzte genervt.
»Du wirst die schlechteste Therapeutin auf der Welt«, sagte ich. »Weißt du das?«
»Wahrscheinlich hast du recht«, murmelte sie düster.
Aber insgesamt verhielt sie sich für ihre Verhältnisse unglaublich einfühlsam. Schließlich verfügten Peg und ich über gewisse Erfahrungswerte und hatten Tess nicht ohne Grund Pol Pot getauft. Sie schrieb mir regelmäßig E-Mails, die ich las, wenn ich in die Bibliothek ging. Sie berichtete von Dingen, mit
denen ich etwas anfangen konnte, zum Beispiel erzählte sie, dass sie an ihren Prada-Schuhen die Absätze hatte reparieren lassen und jetzt nicht mehr richtig darin gehen konnte. Konnte man daraus vielleicht schließen, dass solche Schuhe nur für Leute gedacht waren, die im Geld schwammen und nie zum Schuster gehen würden? Oder sie schrieb, dass Leo der große Star in Kilbride war, vor allem seit er angefangen hatte, den Frauenchor zu leiten – seither kamen ständig irgendwelche Damen bei ihm vorbei, mit kleinen Geschenken oder mit frisch gebackenem Brot oder wenigstens mit den letzten Blumen aus ihrem Garten, mit CDs und Büchern.
»Und Reeny wüsste sehr gern, warum er immer noch seine Leinenanzüge trägt. Friert er denn nicht? Hat er eine Haut aus Leder?«
Ich schrieb zurück, dass ich voraussichtlich eine Weile nicht antworten würde: »Hier gibt es nie etwas Neues.« Aber das stimmte so nicht. Ich hatte meine eigenen
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