Dunkle Umarmung
nicht, daß Daddy besonders stur war, abgesehen davon, daß er sein Büro nicht neu einrichten wollte. Aber in bestimmten Punkten ist jeder hartnäckig, dachte ich. Auch Mama war in vielen Dingen eigensinnig, und als ich sie darauf ansprach, sagte sie, es sei das Vorrecht einer Frau, zeitweilig schwierig zu sein. Sie sagte, daß Männer Frauen dafür nur um so mehr schätzen würden.
»Gib einem Mann nie das Gefühl, daß er sich ganz sicher sein kann, sonst vergißt er, was er an dir hat«, riet sie mir. Wir führten dieses Gespräch auf dem Weg zur Farthinggale Manor.
Normalerweise hatten wir einen Chauffeur, wenn wir ausfuhren, aber diesmal wollte Mama selbst fahren.
Es war ein strahlender und ungewöhnlich warmer Tag.
Daddy sagte, wir hätten einen ausgedehnten Altweibersommer, und wenn es so weiterginge, würden wir vor Januar keinen Schnee zu sehen bekommen. Ich hoffte, daß es an Weihnachten schneien würde. Es war alles so anders, wenn man die Glöckchen der Schlitten und den Gesang der Weihnachtslieder hörte und dabei Schnee fiel. Als ich das aussprach, lachte Mama und sagte: »Tony Tatterton plant, Weihnachten ein Fest zu geben, und wenn er Weihnachten Schnee sehen will und es nicht geschneit hat, läßt er ihn eben einfliegen.«
»Er muß sehr, sehr reich sein!« rief ich aus.
»Wenn du deine Augen erst an Farthy weidest und die Sportwagen siehst, die Rolls-Royce-Modelle, die Araberpferde und die Parkanlagen mit dem riesigen Schwimmbecken, dann wirst du verstehen, warum sogar das noch untertrieben ist«, erklärte sie. Wir ließen die Stadt hinter uns und fuhren in Richtung Meer.
»Farthy? Was ist Farthy?«
»Ach«, sagte sie und lachte wieder, ein kurzes, dünnes Lachen von der Sorte, wie man es von Menschen hört, die an etwas ganz Persönliches denken – etwas, was nur sie selbst oder jemand, der ihnen sehr nahesteht, zu würdigen wüßte.
»Das ist Tonys Spitzname für sein Elternhaus. Ich sagte dir doch, daß es Farthinggale Manor genannt wird.«
»Das klingt wie ein Ort aus einem Roman. Nur in Geschichten geben die Leute ihren Häusern Namen.«
»O nein«, widersprach Mama. »Menschen mit Geschichte, mit Häusern, die ihre eigene Geschichte haben, geben ihren Häusern wirklich Namen. Du wirst noch andere Prachtvillen sehen, und ich hoffe, daß du häufiger mit Menschen von der Sorte zusammenkommst.«
»Wolltest du schon immer im großen Stil leben, Mama, auch damals schon, als du in meinem Alter und noch in Texas warst?« Ich hatte nie den Traum gehabt, auf einem herrschaftlichen Landsitz zu leben oder Partys mit Adeligen zu besuchen, deren Häuser so alt und berühmt waren, daß sie ihre eigenen Namen hatten wie Tara in Vom Winde verweht. Wurde von mir erwartet, daß ich solche Dinge anstrebte? Oder war das etwas, was sich von selbst ergab, wenn man älter und reifer wurde?
»Nein, wohl kaum«, sagte Mama. Sie lachte wieder so seltsam. »Ich wollte in einer Dachstube leben, die Geliebte eines armen Poeten in Paris sein und selbst als Künstlerin, die am Hungertuch nagt, meine Werke am Seine-Ufer ausstellen.
Abends wollte ich dann in Straßencafés sitzen und zuhören, wie mein Geliebter Freunden seine Gedichte vorliest, aber als ich meiner Mutter diese Dinge erzählt habe, hat sie all das ins Lächerliche gezogen. Sie fand es albern, daß ich Künstlerin werden wollte. Eine Frau sollte nur ein Ziel im Leben haben –
Ehefrau und Mutter zu sein.«
»Aber hat sie denn nicht erkannt, wie begabt du warst? War sie denn nicht stolz auf deine Gemälde und Zeichnungen?«
fragte ich, obwohl es mir äußerst schwerfiel, mir Mama in einem Dachboden und ohne schöne Kleider und Schmuck und Schminke vorzustellen.
»Sie wollte sie sich gar nicht erst ansehen und hat mich sogar angeschrien, weil ich zuviel Zeit mit dem Malen und Zeichnen verbracht habe. Meinen Schwestern war es durchaus zuzutrauen, meine Bilder zu vernichten. Du machst dir keine Vorstellung davon, wie ich gelitten habe, als ich in deinem Alter war, Leigh.«
Wie gräßlich, dachte ich, wenn die eigene Mutter einen mißachtet, statt einen zu unterstützen. Arme Mama, sie mußte mit diesen scheußlichen Schwestern und einer Mutter leben, die sich nichts aus den Dingen machte, denen ihre Leidenschaft gehörte und die ihr wichtiger als alles andere waren. Sie war wirklich ganz und gar allein, bis Daddy gekommen war und sie von dort fortgeholt hatte. Er hatte sie gerettet, damit sie Künstlerin werden und dennoch die Dinge haben
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