Dunkle Umarmung
ausgezeichnete Pasta. Ich werde für uns beide bestellen«, sagte er. Er war so gebildet und sprach die italienischen Worte perfekt aus. Der Kellner erkannte augenblicklich seine Weltgewandtheit und war entsprechend beeindruckt. Dann drehte sich Tony um und starrte mich einen Moment lang an. Sein scharfer, durchdringender Blick aus diesen blauen Augen ruhte voller Hochachtung auf mir.
»Du bist wirklich ein ganz erstaunliches Mädchen, Leigh. Du strahlst vor Glück, und im nächsten Moment ist jede Freude von dir gewichen, und du hast Tränen in den Augen. Ich glaube, du bist genauso faszinierend, oder vielleicht sollte ich lieber sagen: verwirrend wie deine Mutter. Ich fürchte, kein Mann ist einer von euch beiden gewachsen«, fügte er hinzu, aber es klang nicht bitter, sondern eher resigniert.
»Habt ihr es euch in den Flitterwochen gutgehen lassen?«
fragte ich, da ich einen gewissen Verdruß aus seinen Worten herauszuhören glaubte. »Mama hat sich sofort ins Bett gelegt, und ich hatte noch keine Gelegenheit, ihr irgendwelche Fragen zu stellen.« Seine blauen Augen wurden verdächtig schmal.
»Ich habe es mir allerdings gutgehen lassen«, erwiderte er mit einem schelmischen Lächeln. »Deine Mutter hat mir erzählt, sie würde unglaublich gern ski- und Schlittschuhlaufen. Sie hat gesagt, sie sei eine begeisterte Wintersportlerin, aber als wir in St. Moritz angekommen waren, hat sie befunden, es sei zu kalt, um skilaufen zu gehen.
Kannst du dir das vorstellen?« Er lachte. »Zu kalt zum Skilaufen. Jedenfalls habe ich die Tage auf den Pisten verbracht, und sie hat währenddessen Einkäufe erledigt oder im Hotel vor dem Kamin gesessen.
Eines Tages ist es mir dann gelungen, sie auf die Piste mitzunehmen, aber sie hat ständig geklagt und ist oft gestürzt, und schließlich habe ich sie ins Hotel zurückgehen lassen. Was das Schlittschuhlaufen bei Nacht auf dem traumhaft schön beleuchteten See angeht…« Er winkte ab und schüttelte den Kopf. »Es hat keine zehn Minuten gedauert, bis ihr das gereicht hat. Sie hat sich darüber beklagt, welche Wirkung die kalte Luft auf ihre Haut hat, und ich bin dahintergekommen, daß es ihr verhaßt ist, zu schwitzen. Soviel zu Flitterwochen in einem Wintersportparadies. Oder zu jeder Form von Sport, wenn wir schon dabei sind«, fügte er grinsend hinzu.
»Aber ihr müßt doch in ausgezeichneten Restaurants gewesen sein«, sagte ich. Ich wußte, daß Mama sich darauf gefreut hatte.
»Ja, schon, aber deine Mutter ißt wie ein Spatz. Es war die reine Verschwendung, ihr eine komplette Mahlzeit zu bestellen, denn sie ißt noch nicht einmal eine Kinderportion.
Zum Schluß habe ich dann jeden Abend ihr Essen und mein eigenes gegessen. Zum Glück habe ich ja viel Sport getrieben, immerhin«, sagte er. Er lehnte sich zurück und klopfte sich auf den Bauch.
»Nein, du siehst wirklich… du siehst gut aus«, sagte ich. Fast hätte ich gesagt »wunderbar«.
»Danke. Jedenfalls war das die Geschichte unseres Winterurlaubs und unserer Flitterwochen«, schloß er enttäuscht.
Der Kellner brachte uns das Brot und die Salate. Mir war gar nicht klargewesen, wie hungrig ich war, bis das Essen auf dem Tisch stand. Das gemütliche Restaurant, Tonys lockere Erzählungen über Mama und die Flitterwochen und dazu noch das köstliche Essen – all das wirkte beruhigend auf mich. Zum ersten Mal, seit ich erfahren hatte, daß Troy so krank war, entspannte ich mich ein wenig.
Wir redeten noch über Europa, und ich erzählte ihm von unseren Reisen nach London. Dann beschrieb ich ihm ganz genau, was ich alles getan hatte, während er und Mama fort gewesen waren. Mir war gar nicht bewußt, wieviel und wie lange ich geredet hatte, denn er hörte mir aufmerksam zu und sah mich gebannt an.
»Oh, es tut mir leid, daß ich soviel rede. Ich weiß auch nicht, was über mich gekommen ist.«
»Mir ist das recht. Es gefällt mir. Soviel hast du nicht mit mir geredet, seit… seit wir uns kennengelernt haben.«
Leicht verlegen wandte ich den Blick ab.
»Du siehst sehr hübsch aus«, sagte er zu mir. »Als hättest du viel Zeit im Freien verbracht.«
»Danke.« Ich war machtlos gegen mein Erröten. Ich hatte es noch nicht gelernt, Komplimente so gelassen entgegenzunehmen, wie Mama das tat. Sie rechnete ohnehin schon immer im voraus damit. Für mich kamen sie nach wie vor unerwartet, und jedes Kompliment war etwas ganz Besonderes, vor allem, wenn es von einem so gutaussehenden Mann wie Tony Tatterton kam.
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