Dunkle Umarmung
Folter, geliebt zu werden, aber so war es in den Büchern, die ich gelesen hatte, nicht beschrieben.
»O Leigh«, rief sie aus, wandte sich zu mir und nahm meine Hände in die ihren, »du mußt jetzt mehr denn je meine beste Freundin sein, meine Verbündete. Wirst du das für mich tun?«
»Ja, natürlich«, erwiderte ich, obwohl ich wieder einmal keine Ahnung hatte, wovon sie sprach.
»Gut, denn Tony mag dich, und er hat nichts dagegen, einen Teil seiner Zeit mit dir zu verbringen. Das kann ich deutlich sehen. Es war sehr gut, daß du in Boston mit ihm essen gegangen bist. Ich werde deine Hilfe brauchen, damit er seinen Spaß hat und beschäftigt ist. Er verlangt viel Aufmerksamkeit und Zuwendung, und er fordert viel Zärtlichkeit. Das laugt einen aus bis auf den letzten Tropfen!« rief sie. »Nicht etwa, daß ich ihn nicht liebe. Ich bete ihn an. Ich hätte nur einfach nie damit gerechnet, daß er so… so männlich sein würde… so gierig auf Sex. Wenn ich keine Mittel finde, um ihn in Schach zu halten, wird er Raubbau mit mir treiben und mir jeden Schwung nehmen. Ja«, sagte sie, ehe ich darauf reagieren konnte, »das habe ich an anderen Frauen schon gesehen, denen es so ergangen ist. Ihre Männer verlangen so viel, daß sie vorzeitig alt werden, und dann suchen sich ihre Männer anderswo Befriedigung. Eine Frau muß ihre Schönheit hüten wie einen kostbaren Edelstein, und sie darf es den Männern gestatten, zu ihr aufzublicken, sie sehnsüchtig anzuschmachten, aber kaum je, sie zu berühren, denn jede Berührung laugt aus, nimmt der Schönheit etwas, läßt sie abstumpfen, vermindert sie. Tony will mich ständig an seiner Seite haben. Er will, daß ich immer da bin, wenn er den Drang verspürt, mich zu küssen, meine Hand zu halten und mich zu umarmen.«
Ich fand es wunderbar, wenn ein Mann eine Frau so sehr begehrte. Und war nicht schließlich ihre größte Klage bei Daddy gewesen, er hätte nicht genug Zeit mit ihr verbracht, ihm liege weniger an ihr als an seinem Geschäft? Und jetzt, da sie einen Mann gefunden hatte, der ihr ergeben war, der sie anbetete, fühlte sie sich davon bedroht. Wie verwirrend das alles doch war!
Sie schwieg einen Moment, als sie eine winzige Falte unter ihren Augen betrachtete. Dann seufzte sie und steckte ihren Finger in eine Dose Hautcreme.
»O Leigh«, sagte sie, als sie sich die Creme ins Gesicht massierte und dabei in den Spiegel sah, »ich fürchte, du wirst öfter, als ich es vorhergesehen hatte, an den Wochenenden von Winterhaven nach Hause kommen müssen. Tony möchte weiterhin an den Wochenenden skilaufen gehen, und er erwartet von mir, daß ich drei Tage dahin und drei Tage dorthin mit ihm fliege. Ein solches Tempo wird mich altern lassen.«
Sie drehte sich wieder zu mir um und nahm erneut meine Hände in ihre.
»Du wirst mir doch helfen, nicht wahr? Du wirst doch auch einige Zeit mit ihm verbringen und ihn ablenken. Ein junges Mädchen hat viel mehr an Energie. Vielleicht gelingt es dir, ihn zu erschöpfen, damit er nachts nicht mehr wie ein Casanova zu mir kommt. O bitte, Leigh, sag, daß du das für mich tust.«
Ich wußte nicht, was ich dazu sagen sollte. Aber ich sah, wie sehr sie sich wünschte, daß ich ja sagte.
»Ja, das werde ich tun, Mama. Ich werde oft nach Hause kommen.«
»Danke, Leigh. Ich danke dir. Ich wußte doch, daß du alt genug bist, um das zu verstehen.« Sie drückte mich schnell an sich. »Es ist so wunderbar, eine Tochter zu haben.
Und jetzt laß dir all die Dinge zeigen, die ich in Europa gekauft habe. Ich habe dir auch ein paar hübsche Pullover mitgebracht. Haben dir deine Weihnachtsgeschenke gefallen?«
fragte sie im selben Atemzug. »Ich habe gesehen, daß dein Vater dir etwas geschickt hat. Was war es?« fragte sie barsch, und ihre Augen zogen sich argwöhnisch zusammen.
»Dieses Medaillon«, sagte ich und hielt es ihr hin. Sie warf einen flüchtigen Blick darauf, forderte mich aber nicht auf, es zu öffnen.
»Sehr hübsch«, sagte sie und wandte sich all den Dingen zu, die sie aus Europa mitgebracht hatte.
Troys Gesundheitszustand machte Fortschritte, und am folgenden Tag ging es ihm schon wesentlich besser. Ich begleitete Tony noch einmal, als er ihn besuchte, ehe meine Schule in Winterhaven begann. Mama blieb all ihren Gelübden treu. Schönheit wurde ihre Religion; sie betete ihr eigenes Spiegelbild an und war panisch darauf bedacht, die Spannkraft wiederzugewinnen, von der sie behauptete, sie in ihren Flitterwochen
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