Dunkle Umarmung
Schlafzimmer zu schauen.
Sie lag noch im Bett und schlief tief und fest. Sie war mit einer Decke zugedeckt, und ihr goldblondes Haar war gelöst und hatte sich auf einem großen, flauschigen Kissen ausgebreitet. Der Fußboden war mit Päckchen und Paketen bedeckt. Ihr neuer Zobelmantel, die Zobelmütze, die Skihose und ihre Stiefel lagen noch so da, wie sie die Sachen hatte fallen lassen, als sie sich ausgekleidet hatte.
In den Räumen im Erdgeschoß fand ich keinen Menschen.
Schließlich fand ich in der Küche sämtliche Dienstboten vor, die dort um einen Tisch versammelt waren und leise miteinander redeten. Sie drehten sich zu mir um, als ich eintrat.
In allen Gesichtern stand dasselbe – Unruhe, Ernst und große Sorge.
»Gibt es irgendwelche Neuigkeiten?« fragte ich und hatte Angst vor der Antwort.
»Ach, du meine Güte«, stöhnte Mrs. Hastings. »Mr. Tatterton hat vor gut einer Stunde angerufen, um zu sagen, daß Troys Fieber noch mehr gestiegen ist. Sein Atem geht sehr schwer.
Sein Zustand ist äußerst kritisch.«
Alle starrten mich an und warteten auf meine Reaktion.
»Ich möchte ins Krankenhaus fahren, Miles«, sagte ich.
»Würden Sie mich hinbringen?«
Er sah von Rye zu Mrs. Hastings und dann zu den anderen Hausangestellten, weil er nicht wußte, wie er auf meine Bitte reagieren sollte.
»Ihrer Mutter wäre es vielleicht nicht recht, wenn Sie hinfahren«, sagte er schließlich.
»Meine Mutter«, erwiderte ich und betonte das Wort barsch,
»schläft. Ich bin in fünf Minuten fertig. Fahren Sie den Wagen bitte schon vor«, ordnete ich gebieterisch an und ging, ehe es zu weiteren Diskussionen kommen konnte.
Ich fand Tony im Wartezimmer des allgemeinen Krankenhauses von Boston vor, als er gerade mit einer Krankenschwester sprach. Er hatte seinen langen Kaschmirmantel über dem Arm hängen. Dieses eine Mal verspürte ich keinen Zorn, keinen Haß und keine Ablehnung –
all meine Gefühle galten im Moment nur Troy.
»Leigh!« rief er, als sein Blick auf mich fiel. Er eilte mir durch das Wartezimmer entgegen, um mich zu begrüßen. »Ist Jillian bei dir?« Er sah über meinen Kopf zur Tür, durch die ich gekommen war.
»Nein. Sie schläft«, erwiderte ich, und es gelang mir nicht, meine Mißbilligung zu verhehlen. Sein Gesicht fiel in sich zusammen, und seine strahlenden Augen wurden wieder matt.
»Ach so.«
»Gibt es etwas Neues?«
»Eine geringfügige Verbesserung seines Zustands. Seine Temperatur ist um ein halbes Grad gefallen. Es ist sehr nett von dir, daß du zu mir gekommen bist. Ich danke dir.«
»Ach, Tony, ich mache mir solche Sorgen um ihn. Wir hatten so viel Spaß zusammen, während du mit Mama fort warst, aber ganz ehrlich, wir haben nichts getan, was seine Krankheit verschuldet haben könnte. Wir waren viel draußen, aber er war immer dick angezogen, und wenn er auch nur die geringsten Anzeichen dafür gezeigt hat, daß ihm kalt werden könnte, sind wir gleich wieder ins Haus gegangen. Und er hatte einen gesunden Appetit und…«
»Schon gut… es reicht.« Tony packte mich am Ellbogen.
»Troy ist schon öfter so krank gewesen. Das ist ganz einfach seine Veranlagung. Niemand kann vorhersagen, wann es soweit ist. Ich gebe niemandem die Schuld daran und dir am allerwenigsten. Hör auf, dir darüber Gedanken zu machen.« Er sah auf seine Armbanduhr. »Es wird noch eine Weile dauern, ehe der Arzt etwas Neues zu Troys Zustand sagen kann, und es ist gerade Abendessenszeit. Ich kenne ein hübsches kleines italienisches Restaurant nicht weit von hier«, sagte er. »Hast du Hunger?«
»Ich…«
»Du mußt Hunger haben, und ich habe schon seit dem frühen Morgen nichts mehr gegessen. Es ist zwecklos, daß wir hier rumsitzen. Komm schon«, sagte er. Er zog seinen Mantel an und reichte mir seinen Arm. Unwillkürlich zögerte ich. Ich hatte nicht verlangt, daß man mich herfuhr, damit ich in Boston essen gehen konnte. Ich wollte in Troys Nähe sein, aber ich gab trotzdem nach.
»Troy wird der bestmöglichen Behandlung unterzogen«, versicherte Tony, nachdem wir uns an einen kleinen Tisch am Fenster gesetzt hatten. »Dieses Kerlchen wird mit jeder Krise fertig, wenn es will, und da du jetzt auf Farthy lebst, weiß ich wenigstens, daß er mehr denn je den Willen hat, weiterzuleben und wieder gesund zu werden.« Er griff über den Tisch und tätschelte tröstend meine Hand.
»Das will ich hoffen«, sagte ich, und beinah hätte ich laut geschluchzt.
»Laß uns essen. Hier gibt es
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