Dunkle Wünsche
und rückte dann
schließlich mit einer brillanten Lösung des Problems heraus. »Wheeler«, sagte
er in fast flehendem Ton, »scheren Sie sich bloß zum Teufel!«
»Und wie wäre es«, sagte ich,
»wenn Sie einen Graphologen auf diesen Terminkalender ansetzten, während ich
weg bin?«
Ich blieb vor Annabelles
Schreibtisch stehen, da ich das Gefühl hatte, etwas vergessen zu haben, und sie
setzte mich auch sofort ins Bild.
»Wenn Sie auch nur noch einen
Rest gesunden Menschenverstandes haben, rufen Sie sie an«, sagte sie in eisigem
Ton. »Eine Miss Palmer, falls Sie das bereits vergessen haben sollten. Nach dem
Klang ihrer Stimme bei ihrem letzten Anruf zu urteilen kann sie jeden
Augenblick hier auftauchen, um mit einem Gewehr mit abgesägtem Lauf nach Ihnen
zu fahnden!«
»Ah!« sagte ich in
sehnsuchtsvollem Ton. »Wie schön war’s doch damals in den alten Kentucky Hills.
Nicht? Als alles noch schwarzgebrannten Whisky trank und all die Burschen rings
um den Destillierapparat hinter Ihnen herjagten, während Ihr alter Daddy mit
seinem abgesägten Gewehr hinter den Burschen herjagte und dabei aus beiden
Läufen ballerte. Nach all den Aufregungen Ihrer Pubertätszeit müssen Sie
Kalifornien eigentlich als recht langweilig empfinden. Wie oft waren Sie verheiratet,
bevor Sie zwölf wurden?«
Das Telefon begann zu klingeln.
Annabelle nahm den Hörer ab und reichte ihn mir dann schweigend hin.
»Wheeler«, sagte ich.
»Ich möchte mich wegen gestern
abend entschuldigen.« Ihre Stimme klang ausgesprochen frigide, und ich spürte
förmlich, wie sich in meinem Ohr Eiswürfel bildeten.
»Wenn sich jemand wegen gestern
abend zu entschuldigen hat, dann ich«, sagte ich.
»Nein, Sie hatten recht. Es war
nur dieser ganze Tag, der Whisky und die Abfuhr von Nigel, alles kam zusammen.«
In ihre Stimme schlich sich ein bösartiger Unterton ein. »Natürlich kam ich mir
hinterher ein bißchen albern vor — wie ich da halb nackt auf der Couch lag,
bereit und begierig, mich Ihnen hinzugeben — und dann zusehen zu müssen, wie
Sie einfach davongelaufen sind.«
»Es tut mir leid, Angela«,
wiederholte ich. »Aber es schien mir das Richtige zu sein.«
»Bitte, entschuldigen Sie sich
nicht! Ich hätte mir denken können, daß Sie sich nicht von anderen Männern
unterscheiden. Warum sollten Sie nicht auf dieselbe Weise mein Vertrauen
mißbrauchen wie all die anderen auch?« Sie lachte, und es lief mir dabei
eiskalt über den Rücken. »Sie halten mich für eine verschmähte Frau; aber nicht
das ist es, was weh tut, Al! Es ist das mißbrauchte Vertrauen, das schmerzt, das
immer am meisten schmerzt. Seltsam, ich habe immer geglaubt, mich inzwischen
daran gewöhnt zu haben, aber es stimmt nicht. Lange Zeit, nachdem Sie gestern
nacht gegangen waren, wollte ich mich einfach verkriechen und sterben. Aber
dann begann ich mir zu wünschen, Sie würden daran glauben müssen. Und das
wünsche ich mir noch immer, Al —.« Ihre Stimme wurde schrill. »Ich hoffe, Sie
sterben bald! Langsam und qualvoll, und dann werden die Würmer und Maden...«
Ich hörte noch weitere fünf Sekunden zu und legte dann sachte auf.
»Dem Geknatter nach, das aus
dem Telefon kam, hat sie Ihnen wohl Ihre Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft
in allen Details geschildert?« sagte Annabelle. »Es war auch hoch an der Zeit,
daß Ihnen ein armes weibliches Wesen einmal Bescheid stößt.«
»Wissen Sie was?« sagte ich.
»Wenn ich Ihnen verraten würde, weshalb sie so wütend auf mich ist, würden Sie
es einfach nicht glauben.«
»Haha!«
»Es liegt nur an Ihrer
südlichen Ritterlichkeit, die da zum Vorschein kommt«, knurrte ich. »Geben Sie
einem Hund einen bösen Namen — «
»- und er wird böse«, sagte sie
schroff. Sie holte tief Luft und straffte die Schultern. »Verschwinden Sie,
Wheeler!«
»Ich gehe schon«, sagte ich mit
zaghafter, sehnsuchtsvoller Stimme. »Und Sie irren sich gewaltig, Annabelle
Jackson. Ich habe mich gestern nacht wie ein Gentleman betragen, obwohl ich
damit jemanden tief verletzt habe.«
»Gehen Sie bloß, Al!« Sie
gähnte laut. »Wenn ich etwas hasse, dann ist es, mit ansehen zu müssen, wie ein
erwachsener Polyp in Tränen ausbricht.«
SECHSTES KAPITEL
B ei der Adresse, die Drury mir
durch seine Sekretärin hatte zukommen lassen, handelte es sich um eine Wohnung
im ersten Stock eines Gebäudes, das sich auf einer wesentlich höheren sozialen
Ebene erhob als das Rattenloch in der Vierten Straße, auch
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