Dunkler Grund
jedoch zurück.
»Wwarum?« Griselda war fassungslos. »Ich verstehe nicht.«
»Ja, Mrs. Murdoch«, wiederholte Argyll. Ruhig stand er vor ihr. Alle Blicke waren auf ihn gerichtet. »Warum haben Sie die Sachen Ihrer Mutter ausgepackt?«
»Ich… ich wollte nicht, daß das Mädchen…«, sagte Griselda mit erstickter Stimme. »Sie war…« Sie brach mitten im Satz ab, überzeugt davon, daß das Mitgefühl des Gerichts ihn zu Ende denken würde.
»Nein, Madam, Sie haben mich mißverstanden«, erwiderte Argyll vorsichtig. »Ich will nicht wissen, warum Sie das Mädchen nicht beauftragt haben. Das verstehen wir alle, und jeder hier im Saal hätte an Ihrer Stelle genauso gehandelt. Nein, warum haben Sie die Sachen überhaupt ausgepackt und sie nicht einfach im Koffer gelassen, um sie zurück nach Edinburgh zu schicken?«
»Oh!« Sie stieß einen Seufzer aus, bis auf die rosa Flecken auf ihren Wangen war ihr Gesicht sehr blaß.
»Man fragt sich, warum Sie die Sachen sorgfältig ausgepackt haben, wo sie doch niemand mehr benötigte. Ich an Ihrer Stelle hätte es nicht getan. Ich hätte sie eingepackt gelassen, fertig für die Rückreise.« Argylls Stimme senkte sich zu einem tiefen, leisen Donnergrollen, und doch klang jedes Wort schrecklich deutlich. »Es sei denn, ich hätte nach etwas gesucht.«
Griselda sagte nichts, aber ihr Unbehagen war nicht zu übersehen.
Argyll entspannte sich ein wenig, beugte sich vor.
»Stand die Diamantbrosche auch auf der Liste, Mrs. Murdoch?«
»Die Diamantbrosche? Nein. Nein, die Diamantbrosche stand nicht darauf.«
»Sind Sie sicher?«
»Ja, natürlich bin ich sicher. Nur die graue Perlenbrosche, der Topas und die Halskette mit den Amethysten. Es fehlte nur die Perlenbrosche.«
»Haben Sie die Liste noch, Mrs. Murdoch?«
»Nein… nein. Hab’ ich nicht. Ich… ich weiß nicht, wo sie ist.« Sie schluckte. »Ist das wichtig? Sie wissen, daß Miss Latterly die Brosche hatte. Die Polizei hat sie in ihren Sachen gefunden.«
»Nein, Mrs. Murdoch«, korrigierte Argyll, »das ist nicht richtig. Die Polizei hat sie im Haus von Lady Callandra Daviot bekommen, wo Miss Latterly sie entdeckt und der Lady übergeben hatte, damit die Brosche nach Edinburgh geschickt werden konnte. Lady Daviot hatte in der Sache bereits den Rat ihres Anwalts eingeholt.« Griselda schien verzweifelt und durcheinander.
»Davon weiß ich nichts. Ich weiß nur, daß sie nicht bei den Sachen meiner Mutter war und daß Miss Latterly sie hatte. Ich weiß nicht, was Sie sonst noch von mir hören wollen.«
»Ich will gar nichts mehr von Ihnen hören, Madam. Sie haben meine Fragen mit bewundernswerter Offenheit beantwortet.« Nur ein Hauch von Sarkasmus schwang in seiner Stimme mit, aber der erste Zweifel war gesät. Jeder im Saal fragte sich, warum Griselda Murdoch die Sachen ihrer Mutter durchsucht hatte, und viele glaubten, die Antwort zu kennen. Sie war nicht gerade schmeichelhaft. Hier tat sich der erste Riß im Zusammenhalt der Familie auf, der erste Hinweis darauf, daß Habgier und Mißtrauen im Spiel sein könnten.
Sichtlich zufrieden nahm Argyll Platz.
Die letzte Zeugin des Tages war Mary Farralines Zofe, eine stille, melancholische Frau, in tristes Schwarz gekleidet, ohne das kleinste Stück Trauerschmuck.
Gilfeather ging äußerst höflich mit ihr um.
»Miss McDermot, haben Sie Ihrer verstorbenen Herrin die Koffer für die Reise nach London gepackt?«
»Ja, Sir.«
»Hatten Sie eine Liste von den Dingen, die Sie in die Kofferpacken sollten, für das Hausmädchen in London?«
»Ja, Sir, Mrs. McIvor hat sie geschrieben, damit ich einen Anhaltspunkt habe… und natürlich hatte das Hausmädchen in London darum gebeten.«
»Ich verstehe. Stand eine Diamantbrosche auf der Liste?«
»Nein, Sir, die stand nicht drauf.«
»Sind Sie ganz sicher?«
»Ja, Sir, das könnte ich beeiden.«
»Gut. Aber eine graue, ungewöhnlich geformte Perlenbrosche stand darauf?«
»Ja, Sir.« Gilfeather zögerte.
Rathbone spitzte die Ohren. Ob er sie fragen wollte, ob alles, was sie eingepackt hatte, mit Mary Farralines Gepäck zurückgekommen war? Damit wäre Griselda entlastet.
Aber Gilfeather verzichtete darauf. Vielleicht fürchtete er, sie könnte etwas genommen haben. Nur der geringste Hinweis darauf, daß etwas fehlte, und diese Meute, die nach Dramatik und Schuld jeder Art lechzte, würde einen Diebstahl daraus machen.
Rathbone lehnte sich zurück. Zum erstenmal lächelte er. Gilfeather hatte einen Fehler
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