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Dunkler Grund

Dunkler Grund

Titel: Dunkler Grund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Annahme, ein Mensch könne sich nicht grundsätzlich ändern, und deshalb könnten Sie nicht schuldig sein. Ist es nicht so?«
    »Ich habe die Verteidigung nicht vorbereitet, Sir, also kann ich nicht für Mr. Argyll sprechen«, erwiderte sie gleichmütig.
    »Aber ich nehme an, Sie haben recht.«
    »Stimmen Sie meiner Hypothese zu, Miss Latterly?« Sein scharfer Ton forderte eine Antwort.
    »Ja, Sir, auch wenn wir uns manchmal in den Menschen täuschen und sie nicht richtig beurteilen. Wenn es nicht so wäre, würden wir keine Überraschungen erleben.«
    Eine Welle der Belustigung ging durch den Saal. Ein oder zwei Männer nickten zustimmend.
    Rathbone hielt besorgt den Atem an.
    »Ein äußerst spitzfindiges Argument, Miss Latterly«, räumte Gilfeather ein.
    Sie wußte, warum Rathbone sie so flehend angesehen hatte. Sie mußte es wieder gutmachen.
    »Nein, Sir«, erwiderte sie bescheiden. »Es ist nur gesunder Menschenverstand. Ich glaube, jede Frau hätte Ihnen diese Antwort gegeben.«
    »Sei es, wie es sei, Ma’am«, wechselte er das Thema. »Sie werden mir trotzdem erlauben, ein wenig an seiner hohen Meinung von Ihnen zu kratzen.«
    Schweigend wartete sie darauf, daß er damit anfangen würde. Er nickte und verzog wieder das Gesicht. »Warum sind Sie auf die Krim gegangen, Miss Latterly? Spürten Sie eine Berufung, wie Miss Nightingale?« Es lag weder Sarkasmus noch Herablassung in seiner Frage, er stellte sie anscheinend ganz unschuldig, und doch weckte er damit Erwartungen im Saal, die Bereitschaft zum Zweifel.
    »Nein, Sir.« Sie antwortete leise und so freundlich, wie es ihr möglich war. »Ich wollte meinen Mitmenschen so helfen, wie es meinen Fähigkeiten am besten entsprach. Ich hielt es für eine gute Sache. Man hat nur ein Leben, und ich wollte damit lieber etwas Sinnvolles anstellen, statt am Ende den verpaßten Chancen nachtrauern zu müssen.«
    »Sie sind also eine Frau, die Risiken eingeht?« fragte Gilfeather und konnte ein Lächeln nicht ganz verbergen.
    »Physische, Sir, keine moralischen. Zu Hause, sicher und beschützt, wäre ich ein moralisches Risiko eingegangen, und dazu war ich nicht bereit.«
    »Sie wissen mit Worten umzugehen, Madam!«
    »Ich kämpfe um mein Leben, Sir. Was erwarten Sie?«
    »Da Sie mich danach fragen, Madam, ich erwarte von Ihnen jedes noch so spitzfindige Argument, ihre ganze Überredungskunst und jede Haarspalterei, die ein Verstand und eine verzweifelte Seele sich nur auszudenken vermögen.«
    Sie sah ihn verächtlich an. Rathbones Warnungen schossen ihr durch den Kopf, so deutlich, als hätte er sie gerade erst ausgesprochen, doch sie schlug sie in den Wind. Gewinnen konnte sie ohnehin nicht. Aber würdelos und ohne Stolz wollte sie nicht untergehen.
    »Das hört sich an, Sir, als wären wir zwei wilde Tiere, die Revierstreitigkeiten ausfechten, und nicht menschliche Wesen, die nach der Wahrheit suchen. Wollen Sie wissen, wer Mary Farraline getötet hat, Mr. Gilfeather, oder wollen Sie jemanden hängen sehen, und ich komme Ihnen gerade recht?«
    Gilfeather war einen Moment lang konsterniert. Man hatte ihm oft widersprochen, aber nicht mit solchen Worten.
    Die Leute im Saal hielten den Atem an. Ein Journalist zerbrach seinen Bleistift.
    »Mein Gott!« stöhnte Rathbone unhörbar.
    Der Richter langte nach seinem Hammer, verschätzte sich jedoch in der Entfernung; die Hand griff ins Nichts.
    Monk lächelte, doch sein Magen krampfte sich vor Schmerz zusammen.
    »Mich interessiert nur der wirkliche Täter, Miss Latterly«, erwiderte Gilfeather wütend. »Und die Beweise deuten nun mal darauf hin, daß Sie es sind! Und wenn nicht, dann nennen Sie mir bitte einen anderen Täter!«
    »Das kann ich nicht, Sir, sonst hätte ich es längst getan«, antwortete Hester.
    Endlich erhob sich Argyll.
    »Euer Ehren, wenn mein gelehrter Kollege Fragen an Miss Latterly hat, möge er sie ihr stellen. Diese Art der Auseinandersetzung erscheint mir unziemlich – auch wenn sie sich sehr gut dagegen zu Wehr setzen kann – und dem hohen Gericht nicht angemessen.«
    Der Richter bedachte ihn mit einem säuerlichen Blick und wandte sich an Gilfeather.
    »Mr. Gilfeather, bitte kommen Sie zur Sache, Sir. Was möchten Sie die Angeklagte fragen?«
    Gilfeather schaute finster von Argyll zum Richter. Dann wandte er sich wieder an Hester.
    »Miss Nightingale hat sie hier als guten Engel dargestellt, der sich aufopfernd um die Verwundeten gekümmert hat.« Diesmal konnte er den Sarkasmus nicht ganz

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