Dunkler Grund

das Publikum, die Wärterinnen nahmen Hester in die Mitte und verlangten, sie im Käfig nach unten in die Katakomben zu bringen. Man wollte sie in sicherer Verwahrung haben, falls es zum Aufruhr kommen sollte.
    Monk spazierte durch die Straßen. Rathbone und Argyll saßen bis lange nach Mitternacht beisammen. Callandra verbrachte den Abend mit Henry Rathbone, sie unterhielten sich über alles, was ihnen in den Sinn kam, nur nicht über Hester und das, was der nächste Tag bringen würde.
    Argyll erhob sich.
    »Ich rufe Hector Farraline in den Zeugenstand.« Großes Erstaunen im Publikum. Alastair erhob sich, um zu protestieren, aber er wurde sogleich wieder auf seinen Sitz gezogen. Es war sinnlos, und das wußte Oonagh sofort. Gequält beobachtete Alastair das Geschehen.
    Hector kam herein. Er ging sehr langsam, unsicher, mit unstetem Blick. Er schlurfte hinüber zur Treppe, die hinauf zum Zeugenstand führte.
    »Brauchen Sie Hilfe, Mr. Farraline?« fragte der Richter.
    »Hilfe?« Hector zog die Augenbrauen hoch. »Wozu?«
    »Kommen Sie die Treppe alleine hoch? Sind Sie in Ordnung?«
    »Aber sicher, Sir? Und Sie?«
    »Dann gehen Sie jetzt an Ihren Platz, Sir, damit Sie vereidigt werden können.« Der Richter warf Argyll einen ungehaltenen Blick zu. »Ich nehme an, Sie bestehen darauf?«
    »Jawohl, Sir«, bestätigte Argyll.
    »Also gut, bringen wir’s hinter uns!«
    Hector erklomm die Stufen, wurde vereidigt und wartete darauf, daß Argyll beginnen würde.
    Gilfeather verfolgte aufmerksam das Geschehen.
    »Major Farraline«, redete Argyll ihn höchst respektvoll an, »waren Sie im Haus, als Miss Latterly bei Ihnen eintraf?«
    »Was? Ach so… ja, sicher. Ich wohne ja dort.«
    »Waren Sie Zeuge ihrer Ankunft?«
    Gilfeather erhob sich. »Euer Ehren, Miss Latterlys Ankunft steht hier nicht zur Debatte. Warum sollten wir dem Gericht mit solchen Nebensächlichkeiten die Zeit stehlen?«
    Der Richter sah Argyll an und hob die Augenbrauen.
    »Ich werde sofort zur Sache kommen, Euer Ehren, falls mein gelehrter Freund es mir gestattet«, erwiderte Argyll.
    »Aber ein bißchen zügiger, wenn ich bitten darf«, befahl der Richter.
    »Euer Ehren. Major Farraline, haben Sie Miss Latterly an jenem Tag im Haus herumlaufen sehen?«
    Hector schaute verwirrt. »Herumlaufen? Was meinen Sie damit… die Treppen rauf und runter, so in der Art?«
    Wieder sprang Gilfeather auf. »Euer Ehren, dieser Zeuge ist ganz offensichtlich… etwas unpäßlich! Er ist nicht in der Lage, uns Dinge von Belang zu erzählen. Natürlich ist Miss Latterly im Haus herumgelaufen. Sie wird sich ja wohl nicht den ganzen Tag über versteckt haben. Mein gelehrter Freund verschwendet unsere Zeit!«
    »Sie sind es, der Zeit verschwendet«, fuhr Argyll fort. »Ich könnte wesentlich schneller zur Sache kommen, wenn Sie mich nicht dauernd unterbrechen würden.«
    »Fahren Sie endlich fort, Sir!« befahl der Richter. »Bevor ich die Geduld verliere. Auch ich tendiere zu der Ansicht, daß Major Farraline nicht in der Verfassung ist, uns etwas Brauchbares mitzuteilen.« Argyll knirschte mit den Zähnen.
    Rathbone beugte sich vor und ballte die Hände zu Fäusten.
    »Major Farraline«, fuhr Argyll fort, »sind Sie Miss Latterly an jenem Tag allein im Hausflur begegnet, und haben Sie bei dieser Gelegenheit mit ihr über das Unternehmen geredet und über das Vermögen?«
    »Was?«
    »Ich bitte Sie!« explodierte Gilfeather.
    »Ja, richtig!« sagte Hector in einem Augenblick der Klarheit.
    »Auf der Treppe, wenn ich mich recht erinnere. Hab’ mich kurz mit ihr unterhalten. Nettes Mädchen. Hat mir gefallen. Ein Jammer.«
    »Haben Sie ihr erzählt, daß in der Firma Geld unterschlagen wurde?«
    Hector starrte ihn an, als hätte ihn etwas gebissen.
    »Nein… nein, natürlich nicht!« Sein Blick wanderte von Argyll hinüber zu den Zuschauern. Dort entdeckte er Oonagh und sah sie flehend an. Kreideweiß und mit weit aufgerissenen Augen saß sie da.
    »Major Farraline!« sagte Argyll mit fester Stimme.
    »Euer Ehren, das ist empörend!« protestierte Gilfeather. Argyll achtete nicht auf ihn.
    »Major Farraline, Sie waren Offizier in einem der berühmtesten und ehrenhaftesten Regimenter Ihrer Majestät der Königin. Erinnern Sie sich, Sir! Sie stehen unter Eid! Haben Sie Miss Latterly nicht erzählt, jemand hätte Gelder der Buchdruckerei Farraline unterschlagen?«
    »Das ist unglaublich!« rief Gilfeather und gestikulierte wild mit den Armen. »Und vollkommen unwichtig! Miss