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Dunkler Grund

Dunkler Grund

Titel: Dunkler Grund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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konsterniert.
    »Ich verstehe«, sagte er mit belegter Stimme. »Danke, Mr. Fyffe. Es muß Ihnen sehr schwergefallen sein, das zu enthüllen und Ihre Familie in dieser Weise zu belasten. Das Gericht weiß Ihre Aufrichtigkeit zu schätzen.« Sollte er es sarkastisch gemeint haben, hörte man es seinen Worten nicht an.
    Quinlan erwiderte nichts. Gilfeather sprang auf. Er attackierte Quinlan, zog seine Zuverlässigkeit, seine Motive, seine Aufrichtigkeit in Zweifel, aber seine Angriffe prallten ab. Quinlan blieb ruhig, fest und unerschütterlich, sein Selbstbewußtsein nahm sogar noch zu. Gilfeather merkte bald, daß er seine Position nur schwächte, wenn er seine Angriffe fortsetzte, und mit einer verbitterten, zornigen Geste nahm er seinen Platz wieder ein.
    Die Beweisaufnahme war damit abgeschlossen.
    Rathbone konnte sich kaum zurückhalten. Er hätte Argyll wohl hundert Dinge einflüstern mögen – was er sagen und vor allem, was er lieber nicht sagen sollte! Aber Argyll wußte natürlich, was er in seinem Plädoyer sagen mußte. Als er sich setzte, war nur das Quietschen seines Stuhls im Saal zu hören, während der Richter sich vorbeugte und die Geschworenen aufforderte, sich zurückzuziehen und über den Urteilsspruch zu beraten.
    Und damit begann die längste und kürzeste Zeit, die man sich vorstellen kann, die Zeit zwischen dem Schütteln des Bechers und dem Moment, in dem die Würfel fallen.
    Es war eine verzweifelte, unerträgliche Stunde.
    Mit blassen Gesichtern kehrten sie an ihre Plätze zurück. Sie sahen niemanden an, weder Argyll noch Gilfeather und – was Rathbone das Herz bis zum Hals schlagen ließ – auch Hester nicht.
    »Sind Sie zu einem Urteilsspruch gekommen, meine Herren?« fragte der Richter den Sprecher der Geschworenen.
    »Jawohl, Euer Ehren.«
    »Ist es ein einstimmiger Spruch?«
    »Jawohl, Euer Ehren.«
    »Ist die Angeklagte schuldig oder nicht schuldig?«
    »Euer Ehren, wir halten den Schuldbeweis für nicht erbracht.« Es herrschte tosende Stille, eine Leere, die in den Ohren rauschte.
    »Nicht schuldig aus Mangel an Beweisen?« Der Richter hob ungläubig die Augenbrauen.
    »Jawohl, Euer Ehren, aus Mangel an Beweisen.«
    Langsam, mit grimmiger Miene, wandte der Richter sich an Hester.
    »Sie haben den Urteilsspruch gehört, Miss Latterly. Sie sind nicht freigesprochen, aber Sie dürfen gehen, wohin Sie wollen.«

11
    »Was bedeutet es?« fragte Hester und sah Rathbone eindringlich an. Sie saßen im Wohnzimmer der Räumlichkeiten, die Callandra für die Zeit des Prozesses in Edinburgh gemietet hatte. Hester sollte wenigstens für diese Nacht bei ihr bleiben. Morgen wollte man dann weitersehen. Rathbone saß auf einem Stuhl; er war innerlich viel zu erregt, um es sich in einem der Sessel bequem zu machen. Monk stand am Kamin, halb auf den Sims gestützt, mit finsterer Miene, die Stirn nachdenklich in Falten gelegt. Callandra selbst wirkte ein wenig entspannter. Sie und Henry Rathbone saßen schweigend auf dem Sofa.
    »Es bedeutet, daß Sie weder schuldig noch unschuldig sind«, antwortete Rathbone und verzog das Gesicht. »In England kennen wir diesen Urteilsspruch nicht. Argyll hat ihn mir erklärt.«
    »Sie halten mich für schuldig, aber sie sind sich nicht sicher genug, um mich aufzuhängen«, sagte Hester mit stockender Stimme. »Können Sie mich noch einmal vor Gericht stellen?«
    »Sie halten Sie für schuldig, können es aber nicht beweisen«, sagte Monk grimmig. Er wandte sich an Rathbone und kräuselte die Lippen. »Kann sie noch einmal vor Gericht gestellt werden?«
    »Nein. In dieser Hinsicht ist es wie ein Freispruch.«
    »Aber die Zweifel werden bleiben«, sagte Hester verbittert und mit blassem Gesicht. Sie wußte nur zu gut, was das bedeutete. Sie hatte die Gesichter der Leute im Publikum gesehen, auch jener Leute, die ernstliche Zweifel an ihrer Schuld hatten. Wer stellte schon eine Krankenschwester ein, die eine Mörderin sein könnte?
    Die Tatsache, daß sie möglicherweise keine Mörderin war, war kaum eine hinreichende Empfehlung.
    »Ich wünschte, ich könnte was anderes sagen«, erklärte Rathbone mit sehr leiser Stimme, »aber es ist eine sehr unbefriedigende Lösung.«
    Callandra und Monk redeten gleichzeitig, aber ihre Worte blieben unverständlich, weil sie von Monks zorniger Stimme übertönt wurden.
    »Es ist überhaupt keine Lösung! Um Himmels willen, was ist mit euch los?« Er funkelte sie alle an, vor allem aber Rathbone und Hester. »Wir wissen nicht,

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