Dunkler Grund
dunkelgrauen Augen und den hohen Wangenknochen so deutlich vor Augen, als säße er ihr gegenüber.
»Na ja, es gab noch andere Fälle, unmittelbar danach.« Sie stolperte ein wenig über ihre Worte. »Und es ging wieder um die Gerechtigkeit. Und da ich helfen konnte…«
Ein stilles Lächeln kräuselte Marys Lippen. »Ich verstehe. Ich glaube es zumindest. Und danach, zweifellos, der nächste Fall. Was ist er für einer, Ihr Polizist?«
»O nein, nicht mein Polizist!« dementierte Hester eilig und eifriger, als sie beabsichtigt hatte.
»Nein?« Mary schien nicht überzeugt zu sein, aber in ihrer Stimme schwang Belustigung mit. »Haben Sie ihn denn nicht gern, meine Liebe? Sagen Sie mir, wie alt er ist, und wie sieht er aus?«
Hester dachte kurz darüber nach, ob sie die Wahrheit sagen sollte. Monk wußte selbst nicht genau, wie alt er war. Er hatte bei einem Kutschenunfall sein Gedächtnis verloren, sein Wissen über sich selbst kehrte nur stückweise zurück, und inzwischen war aus den Monaten mehr als ein Jahr geworden. Eine lange Geschichte, und eigentlich war es nicht ihre Sache, sie zu erzählen. »Ich weiß es nicht genau«, redete sie sich heraus, »ungefähr vierzig, glaube ich.«
Mary nickte. »Und seine Erscheinung, sein Auftreten?«
Hester bemühte sich, aufrichtig und gerecht zu sein, aber das war schwieriger als erwartet. Monk löste immer die gleichen Gefühle in ihr aus: einerseits Bewunderung für seinen Scharfsinn, seinen Mut, seine Wahrheitsliebe, andererseits auch Ungeduld, ja sogar Verachtung für seine Unerbittlichkeit denjenigen gegenüber, die er des Verbrechens verdächtigte, sogar den eigenen Kollegen gegenüber, wenn sie mal nicht so schnell, so flexibel und risikobereit waren wie er selbst.
»Er ist groß«, fing sie vorsichtig an, »ziemlich groß sogar. Und weil er sich sehr aufrecht hält, wirkt er irgendwie…«
»Elegant?« schlug Mary vor.
»Nein… ich meine… doch, das auch, aber ich wollte etwas anderes sagen.« Es war absurd, wie sie durch die eigenen Sätze stolperte. »Ich glaube, ›gewandt‹ ist das Wort, nachdem ich gesucht habe. Er ist kein schöner Mann. Er hat ein gutes Gesicht, aber er ist von einer Direktheit, die… ich wollte sagen, die an Arroganz grenzt, aber das würde nicht stimmen. Es ist Arroganz, schlicht und einfach.« Sie holte tief Luft und sprach weiter, ehe Mary sie unterbrechen konnte. »Er ist grob in seiner Art. Dabei zieht er sich sehr gut an; er ist eitel und gibt viel zuviel Geld für Kleidung aus. Er sagt frei heraus, was er denkt, ohne sich im geringsten darum zu kümmern, ob es taktvoll ist oder nicht. Er hat keine Geduld, keinen Respekt vor Autoritäten, und für Menschen, die nicht so tüchtig sind wie er, hat er wenig übrig. Aber er kann kein Unrecht hinnehmen, und jede Wahrheit ist ihm heilig, auch wenn sie ihn den Kopf kostet.«
»Ein außergewöhnlicher Mann, den Sie mir da schildern.« Marys Worte verrieten Interesse. »Und Sie scheinen ihn sehr gut zu kennen. Weiß er das?«
»Monk?« fragte Hester erstaunt. »Ich habe keine Ahnung! Ja, ich denke schon. Wir haben selten offen miteinander geredet.«
»Ach, wie interessant.« Es schwang kein Sarkasmus in Marys Stimme mit, nichts als wache Anteilnahme. »Und er ist in Sie verliebt, dieser Monk?«
Hester wurde feuerrot. »Natürlich nicht!« Sie stritt es heftig ab, und ihre Kehle schnürte sich zusammen. Einen verrückten Augenblick lang glaubte sie, daß sie weinen müsse. Aber das wäre albern und beschämend gewesen. Schließlich mußte sie den Irrtum aufklären, dem Mary ganz offensichtlich unterlag.
»Bei bestimmten Gelegenheiten raufen wir uns zusammen, weil wir an dieselbe Sache glauben und bereit sind, gegen das zu kämpfen, was wir nicht in Ordnung finden«, sagte sie mit fester Stimme. »Doch wenn es um die Liebe geht, ist er an Frauen wie mir nicht interessiert. Er zieht…«, sie mußte schlucken, so deutlich und schmerzhaft überkam sie die Erinnerung, »…
Frauen wie meine Schwägerin vor. Imogen. Sie ist wirklich sehr hübsch, sehr liebenswürdig und versteht es, ohne plumpe Schmeicheleien charmant zu sein und das Bedürfnis in den Männern zu wecken, ihr beizustehen. Und dabei ist sie gar nicht ungeschickt.«
»Ich verstehe«, sagte Mary und nickte. »Wir alle haben irgendwann einmal eine solche Frau kennengelernt. Sie lächeln einen Mann an, und gleich fühlt er sich besser und schöner und ganz bestimmt verwegener als davor.«
»Genau!«
»So ist Ihr
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