Dunkler Grund
der sich nervös dem Haus Nummer 17 näherte, sich ständig umsehend, als befürchtete er, beobachtet zu werden.
Monk zog sich ein Stück weiter in den Schatten zurück und blieb reglos stehen.
Als der Mann unter einer Laterne hindurchging, war für einen Augenblick sein Gesicht zu erkennen. Es war derselbe Mann, den Monk schon vor ein paar Tagen hier gesehen hatte. Der Mann zog eine Uhr aus der Tasche, warf einen Blick darauf und steckte sie wieder weg.
Seltsam. Er sah nicht aus wie ein Mann, der die Uhrzeit ablesen, geschweige denn sich eine Uhr leisten konnte!
Mehrere Minuten vergingen. Der Mann wirkte sehr nervös. Monk wagte nicht einmal, den Kopf zu bewegen. Entlang des Gehsteigs warfen die Laternen kleine Lichtkreise auf das Pflaster. Dazwischen war ein Niemandsland aus dichter werdendem Nebel und Dunkelheit. Es wurde kälter. In seiner Bewegungslosigkeit spürte Monk deutlich, wie die Kälte ihm durch die Schuhsohlen hinauf in die Glieder kroch.
Und dann war sie plötzlich da! Sie mußte durch das Hoftor gekommen sein, aus dem Seiteneingang des Hauses – nicht Eilish, sondern die kleine, eilige Gestalt von Deirdra. Sie ging direkt auf den Mann zu. Ein paar Minuten lang standen sie dicht beisammen, mit gesenkten Köpfen, und redeten so leise miteinander, daß Monk von seinem Platz aus nicht einmal Getuschel hörte.
Plötzlich schüttelte Deirdra energisch den Kopf, der Mann berührte in einer beruhigenden Geste ihren Arm, und sie drehte sich um und ging zurück ins Haus. Er verschwand auf dem Weg, den er gekommen war.
Monk wartete bis weit nach Mitternacht, es wurde immer kälter, aber es kam niemand mehr aus dem Haus der Farralines. Er hätte sich in den Hintern beißen mögen, daß er dem Mann nicht gefolgt war.
Es folgten zwei kalte und zunehmend entmutigende Tage, an denen Monk nichts Brauchbares erfuhr, nicht die geringste Kleinigkeit, die ihm sein gesunder Menschenverstand nicht ohnehin gesagt hätte. Er schrieb einen langen Brief an Rathbone, in dem er ihm berichtete, was er bislang in Erfahrung gebracht hatte, und als er gegen Mittag des dritten Tages in seine Unterkunft zurückkehrte, lagen dort zwei Briefe für ihn. Der eine war von Rathbone, der ihm kurz die Bestimmungen in Mary Farralines Testament skizzierte. Sie hatte ein beträchtliches Vermögen hinterlassen – sowohl persönliches als auch Grundvermögen –, das sie zu mehr oder weniger gleichen Teilen unter ihren Kindern aufteilte. Alastair hatte bereits nach dem Tod seines Vaters das Haus und den größten Teil der Firma geerbt. Der zweite Brief war von Oonagh und erhielt eine Einladung zu einem offiziellen Essen, das noch am selben Abend stattfinden sollte; gleichzeitig entschuldigte sie sich für die außergewöhnlich späte Benachrichtigung.
Monk nahm die Einladung an. Er hatte nichts zu verlieren. Die Zeit brannte ihm unter den Nägeln, und die Nächte, die er sich vor dem Haus der Farralines um die Ohren geschlagen hatte, waren fruchtlos geblieben. Weder Eilish noch Deirdra hatten sich noch einmal blicken lassen.
Er kleidete sich sorgfältig, aber seine Gedanken waren so sehr damit beschäftigt, die einzelnen Informationen noch einmal Revue passieren zu lassen, daß er sich keine großen Sorgen um elegantes und akzeptables Auftreten machte. Weshalb war Hester so dumm gewesen, sich in diese unangenehme Situation bringen zu lassen? Mit den wenigen Eindrücken, die sie ihm vermittelt hatte, war nicht viel anzufangen. Und wenn Deirdra und Eilish wirklich heimliche amouröse Beziehungen zu Männern aus dem Armen viertel unterhielten? Deshalb hätten sie Mary noch lange nicht ermorden müssen.
Wäre Eilish das Opfer gewesen, hätte man leicht eine Erklärung gefunden. Sowohl Quinlan als auch Baird McIvor könnten gute Gründe haben. Sogar Oonagh, wenn Baird tatsächlich in Eilish verliebt war.
Aber auch das erschien ihm nicht plausibel. Warum hätte sie mitten in der Nacht in die King’s Stahles Road schleichen sollen, wenn sie Baird McIvor sehen wollte?
Er hielt Oonaghs Brief in der Hand, als er vor dem großen Festsaal ankam, in dem das Abendessen stattfand, für den Fall, das einer der Türsteher nach seiner Einladung fragen würde. Doch offensichtlich reichte sein selbstsicheres Auftreten, denn niemand sprach ihn an.
Es war ein großartiger Empfang. Kronleuchter strahlten von allen Decken. Jeder Winkel schien ausgeleuchtet zu sein. Geiger spielten eine namenlose Begleitmusik, zu der die Gäste durch die Räume
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