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Dunkler Grund

Dunkler Grund

Titel: Dunkler Grund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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einen Verwandten, ein uneheliches Kind? Oder brauchte sie das viele Geld, um den Erpresser zu bezahlen? Jedenfalls gab sie es nicht für teure Kleider aus.
    Es war ein unangenehmer Entschluß, aber er mußte sie beschatten, sie oder diesen Mann, wenn er die Wahrheit herausfinden wollte. Und auch Eilish mußte er folgen. Wenn sie tatsächlich eine Affäre mit dem Ehemann ihrer Schwester hatte oder mit sonst jemandem, dann brauchte er Gewißheit, eine Gewißheit, die keinen Zweifel mehr zuließ.
    Die erste Nacht blieb ergebnislos. Weder Deirdra noch Eilish ließen sich blicken. Aber in der zweiten Nacht, kurz nach Mitternacht, tauchte der Mann im zerschlissenen Mantel wieder auf, und nachdem er sich eine Weile im Lichtbogen der Laterne herumgedrückt und auf seine Uhr geschaut hatte, kam Deirdra wie ein Geist aus dem Seiteneingang geschlichen. Nach kurzem, intensivem Wortwechsel, allerdings ohne sichtbare Gesten der Zuneigung, gingen sie Seite an Seite mit eiligen Schritten über den Rasen und in südlicher Richtung die Glenfinlas Street entlang, genau denselben Weg, den auch Eilish eingeschlagen hatte.
    Diesmal hielt Monk einen gewissen Abstand, was ihm nicht schwerfiel, denn die beiden schlugen ein hohes Tempo an. Für eine so kleine Frau machte Deirdra erstaunlich große Schritte, sie ging sehr schnell, als hätte sie etwas vor sich, das sie mit Energie und Begeisterung erfüllte. Monk drehte sich hin und wieder um, vergewisserte sich, daß ihm niemand folgte. Schmerzhaft erinnerte er sich an seinen Ausflug auf Eilishs Fersen.
    Es war niemand zu sehen, außer zwei Jugendlichen, die in die entgegengesetzte Richtung gingen, einem schwarzen Hund, der im Rinnstein nach etwas suchte, und einem Betrunkenen, der langsam an einer Mauer herunterrutschte.
    Ein leichter Wind trug den Geruch von Qualm und Ruß mit sich, ein paar dünne Wolken verdunkelten einen Dreiviertelmond. Die Abstände zwischen den Lichtkreisen der Laternen waren undurchdringliche Schatten. Der große Mound of the Castle ragte über ihm auf, und links hob sich die gezackte, inzwischen vertraute Linie der Burg gegen den helleren Himmel ab.
    Deirdra und der Mann bogen nach links in den Grassmarket. Hier war die Straße schmaler, die fünfstöckigen Häuser ließen sie wie die Sohle einer tiefen Schlucht erscheinen. Ihre Schritte hallten gedämpft durch den Dunst, hier und da ein Ruf oder eine schlagende Tür, hin und wieder klapperten Hufe, wenn irgendwo noch ein später Fahrgast unterwegs war, sonst war es still.
    Der Grassmarket war nur ein paar hundert Meter lang, dann wurde daraus das Cowgate, das – parallel zum Canongate – über die South Bridge führte und in die Holyrood Road mündete. Nach rechts gingen Pleasance und Dumbiedykes Road ab, nach links High Street und Royal Mile, bis die Straße schließlich auf den Palace of Holyrood traf. Und dazwischen erstreckte sich ein Labyrinth aus Gassen und Hinterhöfen, Durchgängen zwischen Häusern, Treppen und Hunderten von dunklen Winkeln und Torbogen.
    Monk ging schneller. Wohin, in aller Welt, mochte Deirdra unterwegs sein? Sie war nicht langsamer geworden, und nicht ein einziges Mal schaute sie sich um.
    Vor ihm überquerten Deirdra und der Mann die Straße – und waren plötzlich verschwunden.
    Monk fluchte und lief schneller, stolperte über einen Pflasterstein und hätte um ein Haar das Gleichgewicht verloren. Ein Hund, der unter einem Torbogen geschlafen hatte, knurrte ihn kurz an und ließ den Kopf wieder sinken.
    Candlemaker Row. Er bog um die Ecke und sah gerade noch, wie Deirdra und der Mann kurz vor dem Friedhof auf der rechten Straßenseite einen Augenblick stehenblieben, um dann in einem der großen, dunklen Gebäude auf der linken Straßenseite zu verschwinden.
    Monk lief ihnen nach. Sie waren schon eine Weile verschwunden, als er die Stelle erreichte. Zuerst konnte er keinen Eingang entdecken. Die Hausmauern und die hohen, hölzernen Tore schienen eine undurchdringliche Barriere gegen jeden Eindringling zu bilden.
    Aber sie hatten dort gestanden, und jetzt waren sie verschwunden. Irgend etwas mußte sich geöffnet haben. Schritt für Schritt tastete er sich an der Hauswand entlang, bis ein hölzernes Tor sich wenigstens so weit öffnen ließ, daß er sich hindurchzwängen konnte. Er fand sich in einem gepflasterten Innenhof wieder, direkt vor einem Gebäude, das wie eine Scheune aussah. Gelbliches Gaslicht schien durch die Risse und Spalten in einer schlecht eingepaßten Tür, die

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