Dunkler Rausch der Sinne
einem Messer in der Hand und völlig
blutverschmiert auf mich los, und im nächsten konnten wir euch auf der Treppe
hören. Er sagte etwas, aber ich konnte es nicht richtig verstehen. Ich glaube,
er sagte, dass keiner ihn lebend schnappen würde, aber ich bin mir wirklich
nicht sicher. Es ging alles so schnell. Er hatte irgendeine Flüssigkeit dabei,
mit der er sich übergoss, und im nächsten Moment zündete er sich an, einfach
so. Es war grauenhaft. Ich dachte schon daran, ihn zu erschießen, um seinen
Qualen ein Ende zu machen. Ich glaube, ich werde seine Schreie den Rest meines
Lebens nicht vergessen.«
»Aber hast du das gesehen? Da ist kein Leichnam, gar nichts, nur ein
Haufen Asche. Menschen verbrennen nicht so. Und weder auf dem Boden noch
irgendwo sonst sind Brandspuren«, machte Tom sie aufmerksam.
»Er ist blitzschnell verbrannt«, sagte Jaxon. Sie fuhr sich durchs
Haar. »Ich muss mich irgendwo hinsetzen. Diese Nacht war die Hölle. Hat jemand
schon was vom Captain gehört?«
»Vor ungefähr einer Viertelstunde kam die Nachricht, dass Radcliff von
einem Irren angegriffen worden ist. Radcliff konnte ihn abwehren, aber er
musste ins Krankenhaus gebracht werden. Zwei Polizisten im Streifenwagen wurden
am Tatort getötet. Der Täter konnte entkommen. Könnte derselbe sein wie unser
Knabe hier. Sie dachten, es wäre Drake.«
»Weiß man, wie es Barry geht?«, fragte Jaxon beunruhigt. Sie war so
müde, dass sie auf der Treppe stolperte. Tom legte einen Arm um ihre Taille, um
sie zu stützen.
»Ich rufe gleich im Krankenhaus an, Jaxx. Du setzt dich jetzt hin,
bevor du umkippst. Es war sehr riskant, allein in den Keller zu gehen. Und
warum hat die Tür geklemmt? Wir mussten sie eintreten. Das Ding ist im Eimer.«
Tom zeigte auf die Tür, damit Jaxon sah, was er meinte, und half ihr dann zu
ihrem Schreibtisch. Als sie angewidert die Notizen betrachtete, die vor ihr
ausgebreitet lagen, sammelte er sie hastig zusammen. Sie konnte es jetzt nicht
brauchen, an ihre toten Nachbarn und Freunde erinnert zu werden. »Ich hole dir
ein Glas Wasser.«
»Danke, Tom. Es war eine lange Nacht.« Sie war ihm dankbar für seine
Fürsorge.
Tom gab Jaxon ein Glas Wasser und sah zu, wie sie es austrank. Er
hatte sie schon immer schön gefunden, aber jetzt hatte ihre Schönheit eine
weitere Nuance angenommen, etwas Geheimnisvolles, Ätherisches. Und ihre Stimme
war so schön, dass er ihr ewig hätte lauschen können. Ihre Augen waren klassische
Schlafzimmeraugen. Er kannte den Ausdruck schon lange, hatte aber nie richtig
gewusst, was er bedeuten sollte, bis er in ihre Augen sah. Sie bewegte sich mit
einer geschmeidigen Anmut, unschuldig und doch sehr sexy. Er hatte Mühe, sie
nicht fortwährend mit Blicken zu verschlingen.
Jaxon, die nichts von dem Aufruhr ahnte, den sie in seinem Inneren
verursachte, lächelte ihn an. Er musterte sie so unverwandt, dass es sie
verlegen machte. Sie fuhr sich mit den Händen durchs Haar. »Ich sehe
schrecklich aus, ich weiß. Eine richtige Vogelscheuche.«
Sie wirkte so verletzlich, dass er den Impuls unterdrücken musste, sie
in die Arme zu nehmen und für alle Zeiten zu beschützen. Wie von selbst legte
er seine Hände auf ihre Schultern, um sie zu massieren. Bevor er dazu kam,
fegte ein kalter Luftzug durch den Raum, ein eisiger, Unheil verkündender
Windstoß. Als Jaxon und Tom aufblickten, stand Lucian vor ihnen.
Jaxon konnte kaum atmen. Etwas Wildes und Ungezähmtes war an ihm, etwas
Dunkles und Gefährliches in der Tiefe seiner schwarzen Augen. Nicht Zorn.
Eiskalter Tod. Als er Tom ansah, hatte Jaxon plötzlich Angst um den Mann, ohne
zu wissen, warum. »Lucian?« Sie sprach seinen Namen leise aus, wie eine
geflüsterte Bitte.
Lucian wandte den Kopf nicht in ihre Richtung, trat aber so nahe zu
ihr, dass sein Körper unverrückbar zwischen ihr und ihrem Kollegen stand. Er
lächelte, ein beinahe liebenswürdiges Lächeln, das trotzdem an einen Wolf
erinnerte. »Ich glaube, wir sind uns noch nicht begegnet. Ich bin Lucian Daratrazanoff,
Jaxons Verlobter.« Er streckte seine Hand aus. Seine Augen waren wie dunkle
Teiche, tief und sehr bezwingend. Seine Stimme war leise und sanft wie immer.
»Sie müssen Tom sein. Jaxon spricht oft von Ihnen. Ich weiß es zu schätzen,
dass Sie sich um sie kümmern.« Er trat vor und redete leise auf Tom ein. Tom
nickte mehrmals und erwiderte Lucians Lächeln.
Jaxons Herz schlug so schnell, dass es ihr Angst machte. An Lucians
Benehmen war nichts
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