Dunkler Zauber
wimmelte von Leuten, etwa in ihrem Alter, die gemeinsam wie ein riesiger Hundertfüßer wirkten. Jungs mit Piercings in allen Körperteilen, Langhaarige und Punks, Mädchen mit neonfarbenen Haaren und Tätowierungen, die im Dunkeln leuchteten. Keine davon war Beth. Auf einmal hoben alle die Arme und wiegten sich wie in Trance. Gleich darauf wurde ein Typ hochgehoben und über die Köpfe der Menge gereicht.
Denk nach! Alex verwünschte erneut die Tatsache, dass sie nicht Cams Super-Sehkraft hatte. Hätte sie doch nur ebenso scharfe Augen! Hör genau hin!
Und dann vernahm sie ein Geräusch. Es bahnte sich einen Weg durch den hypnotisierenden Takt der Musik. Die dünne, kaum vorhandene Stimme eines Mädchens, das versuchte, ihre aufsteigende Panik zu verbergen. »Wo ist denn Ms Webb ?«
Und: »Ich finde überhaupt keinen von Helfende Hände. Bist du sicher, dass wir wirklich auf dem >Rave der Retten sind?« Und dann eine weitere Stimme, glatt, schmeichelnd, beruhigend. »Sicher sind wir das. Das Eintrittsgeld kommt nachher unserem guten Zweck zu.« Beth, tatsächlich - und Shane!
»Warum sind wir denn in diesem Zimmer? Sollen wir nicht besser zurück zur Tanzfläche gehen und Ms Webb suchen ?«
»Jetzt vergiss mal Ms Webb. Du hast genug für sie getan. Heute Abend wartet eine ganz besondere Überraschung auf dich.«
Alex konnte Beths Herz schlagen hören - ängstlich, aber zugleich voller Vorfreude. »Eine Überraschung? Was denn?«
»Ich möchte dir ein paar Leute vorstellen. Sehr wichtige Leute.«
Alex stürzte in die Richtung, aus der die Stimmen kamen. Mit den Ellenbogen bahnte sie sich einen Weg durch die Menschenmasse, kämpfte sich hinaus aus der Woge der Tanzenden, rannte über den klebrigen Boden - es war ihr wohl bewusst, dass Fredo ihr auf dem Fuße folgte. Sie hörte, wie Beth dachte: Ob er wohl Leute von Helfende Hände meint? Vielleicht sogar welche von den Kids? Obwohl dies ja nicht gerade der geeignete Ort für die wäre ...
Vor der Tür am anderen Ende der Lagerhalle stand ein massiger Aufpasser. Alex machte eine Vollbremsung, duckte sich dann an ihm vorbei und versuchte, die Tür aufzudrücken. Blitzschnell zog der Sicherheits-Typ sie weg. »Zutritt verboten. Da kommt keiner rein.«
»Ich schon«, erwiderte sie.
Kriecherisch mischte sich Fredo ein: »Lass sie. Sie gehört zur Familie.«
Er beugte sich vor und öffnete die Tür. Als Erstes sah sie die Stiefel, da er seine Füße auf den Tisch gelegt hatte, besser gesagt, sie sah die Stiefelsohlen. Schwarze Stiefel mit dicken, genagelten Sohlen, die einmal mit solcher Kraft verwendet worden waren, dass sie ein Loch in den Boden ihres Wohnwagens gestampft hatten. Das Geräusch, das Alex unlängst gehört hatte, schwere Schritte, die eine knarrende Treppe hinunterkommen, hätte ohne weiteres von diesen Stiefeln stammen können. »Hier ist er nicht.«
Die Stimme. Tief und bedrohlich. Sie blickte in glitzernde, schwarze Augen, die sie fixierten. Thantos. Onkel Thantos. »Du dachtest doch an Karsh ...« Der mächtige Hexer saß an einem Schreibtisch aus dunklem Holz. »Er ist bei mir zu Gast, ebenso wie dein Hexen-Vormund, die begabte Ileana. Sie sind an einem sicheren Ort. Ziemlich in der Nähe sogar. Doch leider, leider werden sie an unserem kleinen Familientreffen nicht teilnehmen können.« Alex hätte sich fast übergeben.
»Nun, liebe, zauberhafte Artemis. Wie ...« Er erhob sich und musterte sie von Kopf bis Fuß. »Warum läufst du denn in solchen Kleidern herum?«
»Das müssen Sie gerade fragen«, erwiderte sie trotzig mit einem vielsagenden Blick auf seinen langen schwarzen Umhang. »Oder wollten Sie als Vampir beim Rave erscheinen ?« Sein kehliges Lachen, das so ganz anders war als Fredos Ziegen-Meckern, machte ihr Angst.
»Eins zu null für dich. Du hältst dich ja wirklich tapfer - ich bin richtig stolz auf dich.«
Untersteh dich, hätte Alex gern erwidert und sah sich verzweifelt im Zimmer um, suchte nach einem Gegenstand, den sie ihm mit ihren magischen Kräften an den Kopf knallen könnte. Dann unterließ sie es schlagartig - schließlich wusste er mit Sicherheit genau, was sie dachte. »Wo ist Beth?«, wollte sie wissen.
»Beth ?« Thantos klang verwirrt.
Fredo erinnerte ihn: »Der Köder. Artemis' beste Freundin. Deswegen hab ich sie zuerst hierher gebracht.« Alex war schlecht. Dieser Onkel Fredo war so dümmlich, dass er nicht einmal wusste, zu welchem der Zwillingsmädchen Beth gehörte.
Nun sagte er gerade eifrig:
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