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Dunkler Zwilling

Dunkler Zwilling

Titel: Dunkler Zwilling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Bezler
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Obergorilla. Doch plötzlich hörten ein paar von denen nicht mehr auf sein Kommando. Sie blieben stehen und starrten mich an. Da ist Maurice!, rief einer. Ich erinnere mich noch genau. Es war Justin Kinkel, der kleine Loser aus dem Harzerpfad, dem sie Pinkel hinterherrufen. Maurice ist wieder da!, schrie er aufgeregt. Sie rannten alle auf mich zu und sprangen an mir hoch wie junge Hunde. Dabei bemerkten sie ihren Irrtum und ließen von mir ab.
    Ich blieb noch eine Weile und sah ihnen zu. Es gefiel mir, dass ich für sie so eine Art Star war und sie ständig zu mir hinguckten und winkten. Später kam dann Tobias auf mich zu und machte mir den Vorschlag, mit ihm zusammen die AG zu übernehmen. Er würde halbe, halbe mit mir machen. Es wäre ihm lieber, wenn er noch eine Unterstützung hätte und ich sähe so aus wie einer, der Kohle bräuchte. Das gab ich natürlich nicht so gerne zu, sondern sagte zu ihm: Irrtum. Ich sehe aus wie einer, der Kohle hat. Tobias hat gegrinst und die Hand zum High Five gehoben. Ich schlug ein. Damit hatte ich bei einem weiteren wichtigen Typen gepunktet. Von da an war ich nur noch auf der »Street of Glory« unterwegs.
    Es gab allerdings noch ein winziges Restproblem. Und das war Chiara. Sie ging mir aus dem Weg. Aber oft erwischte ich sie dabei, wie sie mich aus der Ferne beobachtete. Es wurde zu einem Spiel. Erst tat ich so, als bemerkte ich sie nicht, und dann sah ich sie ganz schnell an, sodass sie das Visier nicht mehr schnell genug herunterklappen konnte. Dabei spiegelte sich eine ganze Palette von Ausdrücken in ihren Augen. Manchmal hatte sie ein Lächeln drauf, das ganze Gletscher abschmelzen könnte, oder sie schaute so Madonna-Maria ernst, dass man sich am liebsten für alles auf dieser Welt bei ihr entschuldigt hätte, vor allem für die eigene Existenz. Und dann gab es Momente, in denen sie mit unendlich traurigen Augen an mir hing. Damit schlug sie sogar Schorsch, der diesen Blick auch drauf hat, wenn ich weggehe, ohne ihn mitzunehmen. Irgendwann nahm ich all meinen Mut zusammen und beendete das Theater, indem ich in der Mittagspause in der Schulkantine eine große Portion gemischten Salat und zwei Gabeln erstand und zu dem Tisch ging, an dem sie saß und an ihrem Wasser nippte. Insalata Mista gefällig?, fragte ich wie ein Oberkellner. Sie sagte, dass sie eigentlich gerade Null-Diät mache, aber sie lächelte dankbar, als ich in eine Tomate piekte und sie ihr hinhielt. So fütterten wir uns gegenseitig und erzählten uns dazwischen alles Mögliche aus unserem bisherigen Leben. Wir lachten viel und ich wusste nun, dass auch Chiara auf meiner Seite war.
    Zu der Zeit war ich fest überzeugt, dass es keinen mehr gab, der noch etwas gegen mich haben könnte, doch dann fand ich in der letzten Woche vor den Ferien diesen Fisch im Schließfach. Erst hatte ich Jonas im Verdacht. Ich beobachtete ihn aufmerksam und warf ihm kritische Blicke zu. Doch er benahm sich so verpeilt wie sonst auch. Am 25. Dezember lag dann der erste Brief im Kasten. Meine Oma brachte ihn mir erst abends, weil den ganzen Tag niemand nachgeschaut hatte. Es war ja Weihnachten, und da kam keine Post. Am 29. Dezember dann der nächste Brief mit derselben Botschaft. Als hätte jemand abgewartet, ob ich reagiere, um dann denselben Brief noch einmal zu schicken. Gestern morgen steckte dann der dritte Brief im Kasten. Da stand was anderes drin.
    Max sah von seiner Schreibarbeit auf und betrachtete den Hund, der die Beine von sich gestreckt hatte und auf dem Teppich vor dem Bett döste. Er liegt da, wie erschossen, dachte Max und hatte plötzlich ein Gefühl als ob Eiswasser durch seine Adern flösse. Schorsch hob den Kopf. Hatten Hunde einen siebten Sinn und merkten, wenn man an sie dachte? Schorsch sprang auf. Er wedelte und winselte und riss mit der Pfote an Max’ Arm. Max klappte das Buch zu. »Ist okay, wir gehen eine Runde.«
    Als Max von einem ausführlichen Spaziergang mit Schorsch im Nieselregen zurückkam, dämmerte es bereits. In Schorschs Fell hingen Schlamm, faules Laub und Kletten. Max klemmte sich den Hund unter den Arm, ging hinunter in den Keller zur Waschküche und begann mit den Reinigungsarbeiten. Anschließend sauste Schorsch wie befreit mit wehenden Ohren durch die Wohnung. Treppauf, treppab, durch die Zimmer. Er schnappte ausgelassen nach allem, was er finden konnte und trug es einige Meter mit sich. Mal war es ein Socken, mal ein Hausschuh, mal ein Stück Zeitung. Max stand lachend an der

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