Dunkler Zwilling
bestätigte sie mit müder Stimme.
»Chiara?«
»Ja?«
»Ist etwas mit dir? Du klingst so … so gedämpft?«
Chiara verzog das Gesicht, als habe sie Schmerzen. Max hatte feine Antennen. So leicht konnte man ihm nichts vormachen. Trotzdem würde sie ihm zunächst nichts von dem berichten, was sie herausgefunden hatte. Wer weiß, wohin sie ihre Nachforschungen noch führen würden. Sie dachte an Köhlers harte Worte. Es sei besser für Max, wenn er den Bentheims nicht zu nahe kommt. Sie musste Max aus dem Weg gehen, um ihn zu schützen.
»Treffen wir uns heute?«, fragte Max.
In Chiara jubelte es. Ja, sie wollte ihn sehen! Sie wollte seine Stimme hören und die wärmenden Sonnenstrahlen spüren, wenn er sie anlächelte.
»Nein, ich glaube nicht.«
»Wieso denn nicht? Möchtest du nicht mitkommen, wenn ich Schorsch hole?«
»Eigentlich schon, aber ich fürchte, ich habe mir die Grippe eingefangen. Es ist besser, wenn ich heute im Bett bleibe.«
»Ist das wirklich nur die Grippe oder bist du aus irgendeinem Grund sauer auf mich?«
»Nein, alles okay«, sagte Chiara mit belegter Stimme. Dann tat sie, als müsse sie fürchterlich husten und beendete das Gespräch.
Sonntag, der 13. Januar
So, jetzt sind sie vorbei, diese Ferien, und ich weiß nicht, ob ich mich darüber freuen soll oder nicht. Wenn ich zurückblicke, dann haben diese drei Wochen in mein Leben reingehauen, als wären es Jahre gewesen. An den Max vor den Ferien kann ich mich schon gar nicht mehr erinnern. Morgen fängt die Schule wieder an, und ich frage mich, ob die anderen auch merken werden, dass ich mich verändert habe, und wie sie auf mich reagieren werden. Vorhin habe ich echt wie ein Mädchen pausenlos überlegt, mit welchen Klamotten ich morgen einlaufen soll. Ich habe keinen Bock darauf, dass sie wieder anfangen, mich zu mobben und zu dizzen. Ich weiß auch, dass ich im Moment nicht viel aushalten kann. Irgendwie bin ich hellhörig wie ein Sioux auf dem Kriegspfad geworden und reagiere auf jede kleinste Regung. Richtig klamm ist mir, wenn ich daran denke, dass ich morgen Chiara wiedersehen werde. Sie hat es wirklich fertiggebracht, mir für den Rest der Woche aus dem Weg zu gehen. Grippe, hat sie gesagt und dass sie für die Schule lernen muss. Wer’s glaubt! Ich zermartere mir seit Tagen das Hirn, was ich falsch gemacht habe und komme eigentlich nur auf die Erklärung, dass ich mich als Lover an dem Nachmittag ziemlich dämlich angestellt habe. Da habe ich wohl akuten Förderbedarf, wie die Lehrer sagen würden. Womit meine Gedanken wieder bei der Schule wären.
Also, was ziehe ich morgen an und mit welcher Haltung laufe ich da ein? Soll ich versuchen, wie vor den Ferien einen auf coolen Maurice zu machen, auch wenn ich das längst nicht mehr draufhabe? Aber eigentlich geht das gar nicht mehr, denn das passende Marken-Outfit habe ich längst im Second-Hand-Laden vertickt. Ich jage im Moment der Kohle nach mit der Gier eines Investmentbankers, denn ich will endlich wieder ins Internet und spare für ein Smartphone. Nur läuft es jobmäßig gerade nicht so gut, denn wie gesagt, aus der AG will Tobias mich raushaben. Nachhilfe in den Weihnachtsferien wollte auch keiner haben. Das boomt erst wieder im Februar nach den Zeugnissen, wenn plötzlich alle merken, dass es eng wird bis zur Versetzung. In der Nachbarschaft habe ich mehrere Jobs zum Schneeschippen an Land gezogen. Und was gibt es zurzeit nicht? Schnee. Die Tierarztrechnung für Schorsch hat übrigens Oma aus ihrem Sparstrumpf beglichen und auch dem Köhler alles zurückgegeben, was er mir vorgeschossen hat. Sie hat gesagt, sie fühlt sich schuldig an dem Schlamassel, weil Schorsch an dem Abend ja mit ihr im Garten war. Ich habe ihr gesagt, dass ich ihr Geld nur als »geliehen« akzeptiere und es ihr bis auf den letzten Cent zurückgeben werde. Ich möchte nicht, dass Leute, die eigentlich nichts mit mir zu tun haben, so viel Geld für mich ausgeben, das sie selbst viel nötiger hätten.
Andreas hat übrigens wieder eine Absage bekommen. Es war eine Stelle als Verkäufer im Baumarkt. Das muss man sich mal überlegen! Er ist Bauingenieur und denen noch nicht mal gut genug dafür, das abgepackte Zeug an die Leute zu bringen.
In Franca von Bentheims Schlafzimmer standen überall geöffnete Koffer und Taschen. Gerade hielt sie ein dünnes, bunt bemaltes Seidenkleid am Bügel in die Höhe und betrachtete es zufrieden, als es zaghaft an der Tür klopfte.
Chiara trat ein. »Soll ich
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