Dunkler Zwilling
Schicksal anderer nicht sonderlich berührte.«
»Vielleicht ist das bei der eigenen Mutter anders.«
»Aber er hat diese Frau doch gar nicht gekannt und keinerlei Beziehung zu ihr gehabt. Und niemand außer Gero wusste, dass sie noch lebte und wo sie war.«
»Vielleicht hat die Alte, mit der Gero sich so lautstark gestritten hat, es irgendwie herausbekommen.«
Francas Miene wurde immer skeptischer. »Wer soll diese alte Frau gewesen sein und welches Interesse sollte sie daran gehabt haben, diese Information weiterzugeben?«
Chiara zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht, wer sie war. Vielleicht wollte sie Geld für ihr Schweigen, und als Gero es ihr nicht gab, hat sie Maurice eingeweiht. Es muss doch auch einen Grund gehabt haben, warum Gero Maurice damals einschärfte, der alten Hexe nichts zu glauben.«
»Genau. Und wie ich Maurice kenne, hat er Gero eher geglaubt als einer keifenden alten Frau, die nur Geld kassieren wollte. Maurice hat sich mit Sicherheit nicht darauf eingelassen.«
»Die Alte hat damals gesagt, sie hätte Beweise.«
»Das musste sie wohl sagen, um ihre Forderung zu untermauern. Lass diese Geschichten ruhen, Chiara, es hilft niemandem, in alten Wunden zu stochern!«
Chiara schaute ihrer Mutter zu, die aufgestanden war und vor sich auf dem Bett ein Kleidungsstück glättete und zusammenlegte. Chiara wusste nur zu gut, was das zu bedeuten hatte: Thema beendet. Dennoch gab sie nicht so schnell auf. »Du solltest auf jeden Fall mit Gero darüber reden«, forderte sie.
Franca funkelte sie aus dunklen Augen an: »Das werde ich mit Sicherheit nicht tun!«
In diesem Moment wurde die Tür mit Schwung geöffnet. Wie es seine Art war, hielt Gero von Bentheim es nicht für nötig, in seinem Haus an geschlossene Türen zu klopfen. Seine Miene verriet, dass er aufgebracht war. In entsprechendem Ton hakte er daher sofort nach. »Was wirst du mit Sicherheit nicht tun?«
Franca sah auf. Ihr Blick glitt mit kühler Verbitterung von ihrem Ehemann zu ihrer Tochter, in deren Augen er sich einbohrte. »Schokoladenpudding«, sagte sie in einer Art, als habe sie gerade »tote Frösche« gesagt. »Chiara will, dass ich Schokoladenpudding zum Nachtisch koche und ich habe abgelehnt.«
Chiara spürte, wie mit einem Schwall die Tränen in ihre Augen schossen. Tiefe Verletzung und Wut rangen in ihr miteinander. Was war das für eine Mutter, die ihre Tochter für einen wie Gero sturmreif schießt?
»Mich interessiert weniger, was die ewig hungrige Chiara zum Dessert möchte«, donnerte Gero von Bentheim los, »sondern viel mehr der Grund, warum sie in Maurice’ Ordner und in meiner Schreibtischschublade herumgeschnüffelt hat.«
»Hat Köhler dir das erzählt?«, fragte Chiara tonlos.
Gero von Bentheim lachte trocken auf. »So etwas erkenne ich selbst, dazu brauch ich keine Spione. Die Sachen standen anders an ihrem Platz und die Schublade war nur einmal abgeschlossen, während ich den Schlüssel zweimal drehe. Es ist wie immer, eure Schlampigkeit verrät euch. Also, was hattest du dort verloren?«
Chiara fühlte sich elend wie ein ausgescholtenes Kind. Aber wer war hier eigentlich im Unrecht? Wer spielte mit gezinkten Karten? Doch er! Finsterer Trotz stieg in ihr auf. »Ich wollte nachschauen, ob die Geburtsurkunde von Maurice’ Zwillingsbruder vielleicht fein säuberlich in dem Ordner abgeheftet ist. Und den Totenschein der Mutter, die ja bei der Geburt gestorben sein soll, wollte ich mir auch einmal ansehen.« Chiara wunderte sich über die Ruhe, die ihr die kalte Wut verliehen hatte.
Geros Miene war plötzlich wie mit Eiswasser übergossen. Nur in seinen Augen glomm einen winzigen Augenblick lang ein leichtes Flackern, das schnell erstarrte. War das Angst gewesen? Zumindest Unsicherheit! Sie hatte den großen Gero von Bentheim aus dem Takt gebracht, registrierte Chiara zufrieden und spürte, wie ihre Sicherheit wieder anwuchs. Was uns nicht umbringt, macht uns nur härter. Das war einer von Maurice’ Sprüchen gewesen. Chiara begegnete Geros Blicken mit schmalen Augen.
Von Bentheim schien sich langsam wieder zu fangen. In der Tonlage eines überlegenen Geschäftsmannes sagte er: »Woher hast du diese haltlosen Fantasien?« Sein Gesicht war bemüht regungslos.
Mit der Miene eines ebenso kühlen Verhandlungspartners antwortete Chiara: »Vielleicht habe ich Beweise?«
Wieder erschien dieses Flackern in Geros Augen. Diesmal dauerte es länger, bis er es unter Kontrolle hatte. Dann fragte er: »Und
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