Dunkles Erbe - Blut Der Finsternis
durfte nicht geschehen! Er war der Ritter des Herrn, folgte seiner Mission, stand für ihn gegen all seine Feinde. Er hatte so sorgfältig geplant, sich gar um die verlorenen Seelen seiner Peiniger bemüht. Und jetzt das! Sollte sein Leben denn so enden?
Wie zu Antwort erhob sich Karens Hand in sein Blickfeld. Behutsam hielt sie den filigranen Hals einer kleinen Phiole zwischen den Fingerspitzen. Er kannte diese Phiole und er wusste nur allzu gut, was sie enthielt. Er selbst hatte sie aus der Welt der Hirudo mitgebracht und in seinem Hort in London ... vergessen! Hilflos, unfähig sich zu wehren oder auch nur um Hilfe zu rufen, verfolgte er die Bewegung ihrer Hand. Langsam kippte sie das Fläschchen. Dickflüssig und zäh wie Honig tropfte das tödliche Gift auf seine Brust.
Gedämpfte Stimmen drangen an sein Ohr. Sie riefen. Nach ihm? Er lauschte angestrengt. Nein, er konnte nicht verstehen, was sie sagten. Sie wurden lauter, neue Stimmen kamen hinzu, fügten sich zu einem Kanon chaotischen Singsangs. Hart spürte er seinen Kopf auf den kalten Steinboden schlagen, als ihre Arme ihn freigaben.
Sein Körper bäumte sich auf, mit blinden Augen starrte er in das gleißende Licht, das plötzlich um ihn herum erstrahlte. Warum spürte er keinen Schmerz? Das um’tejesh verbrennt uns doch, dachte er verwundert. Maratos hatte ihm Leid für seine Peiniger versprochen. Doch als er an sich herunterblickte, sah er ein weißglühendes Strahlen, das sich von innen her ausbreitete und ihn mit flackernden Lohen umschlang. Die berauschende Pracht des Lichts nahm ihm die Erinnerung an Zorn und Willen, fegte seine Verwunderung hinweg und löschte jeden Gedanken aus, sodass er schließlich sich selbst gänzlich in dem warmen Leuchten verlor. In einer befremdlichen Mischung aus Schrecken und stillem Wissen, gab er sich hin. Er spürte weder Bedauern noch Verlust, als er fühlte wie jener zarte Strang, der ihn ans Leben band, zerriss.
Verwirrt, als erwache sie aus einem geisterhaften Traum, fand Karen sich in Arweths Armen wieder. Nur wenige Schritte von ihnen entfernt lag der leblose Körper des Fremden. Neben ihm kniete die Frau, ihre Besucherin. Alles überstrahlende Helligkeit hüllte sie und den Leib des Toten ein. Lächelnd blickte die Frau zu Karen hinüber. Sie sah aus wie ein Engel. Ihr sanftes, zartes Gesicht, das lang wallende Haar, das weite, strahlend weiße Gewand war ganz und gar eingehüllt in wahrhaft himmlisches Licht.
Was war nur geschehen? Das Letzte, woran Karen sich erinnerte war, dass die dunkelhaarige Frau plötzlich neben ihr stand. Auch entsann sie sich noch deutlich, von ihr umarmt worden zu sein. Die sanfte Berührung war kaum mehr als ein Windhauch gewesen. Damit jedoch endete ihre Erinnerung. Wie sie dorthin gelangt war, wo sie nun saß, war ihr ein Rätsel. Verstört sah Karen Arweth an, doch er beachtete sie gar nicht. Sein schneeweißes Gesicht war wie versteinert.
»Phoebe«, flüsterte er und Karen sah die Frau kaum merklich nicken. Das war also ihr Name. Phoebe. Aber woher kam sie und warum half sie ihnen? War sie womöglich tatsächlich ein Engel? Karen wagte kaum diese Frage in Gedanken zu formulieren, so lächerlich, so unmöglich schien ihr diese Vorstellung.
Fassungslos sah sie mit an, wie das Licht schwächer wurde und mit ihm auch Phoebe. Mit jeder Sekunde verblasste die Gestalt mehr und mehr, bis sie schließlich ganz verschwunden war. Zurück blieb der leblose Körper des Mannes und die kalte Gewissheit, dass alles eventuell Göttliche diesen Ort verlassen hatte.
~ 8. Kapitel ~
In dem ein Auserwählter
seine Bestimmung erkennt
Keuchend hastete Turner durch den unbeleuchteten Hinterhof. Den ganzen Weg nach Islington zu seinem Mietshaus war er gerannt. Nur bekleidet mit dem dünnen Krankenhaushemd fror er erbärmlich und die Haut prickelte ihm noch vom kalten Wind, der durch Londons Straßen fegte.
Doch das bisschen Frieren war belanglos. Selig lauschte er der Stimme seines Freundes, die Wort um Wort seine Erinnerung weckte. Er wusste jetzt wieder was geschehen und dass er nicht verrückt war. Er war der Wächter des GESCHÜTZTEN gewesen und jetzt sollte er SEINEN Platz einnehmen. Er sollte so werden wie ER. Endlich erhielt er den gerechten Lohn für seine Dienste. Berauscht erfuhr er die Hochstimmung, die er fühlte, als er ungesehen durch die Straßen lief. Vorbei an Menschen, die ihn nicht einmal als Schemen wahrnahmen. Freudetrunken genoss er das Gefühl von Macht und
Weitere Kostenlose Bücher