Dunkles Erwachen
Er blickte sich um und griff nach der Gazellenkeule, die er beiseitegelegt hatte. Sie würde er keinem Nachträuber überlassen.
Er lief eine Anhöhe hinauf und betrachtete einen Baum mit weit ausladenden Ästen. Die oberen sahen kräftig genug aus, um ihn zu halten. Talon klemmte das Fleischstück in eine Astgabel und stemmte sich hoch. Schwungvoll zog er sich nach oben, packte die Keule und lief mit leichten Schritten die Äste entlang. Ein paar Vögel wurden aufgeschreckt. Ihr aufgeregtes Gezwitscher klang über die dunkle Savanne. Talon beachtete es nicht weiter, sondern drückte gegen einen fast waagerecht liegenden Ast, um dessen Festigkeit zu überprüfen. Das Holz knirschte leise unter seinem Gewicht, doch es hielt seinen Bewegungen stand, und so legte er sich der Länge nach hin.
Müdigkeit stieg in ihm hoch, aber zum ersten Mal seit langer Zeit hielten ihn seine Gedanken wach.
Bilder, kurze Schlaglichter, flackerten durch sein Bewusstsein. Er erinnerte sich an sie, und dennoch blieben sie ihm fremd. Talon wusste, dass sie Teil seiner Vergangenheit waren. Doch er konnte weder den Gesichtern einen Namen zuordnen noch die Umgebung benennen, die er dabei sah.
Er fiel in einen leichten Schlaf, aus dem er bei jedem Geräusch um ihn herum aufgeschreckt wurde.
[Du kommst spät] , bemerkte T'cha. Sie sah von der Wasserstelle auf und leckte sich mit der Zunge über die feuchte Schnauze.
»Ich habe schlecht geschlafen«, entgegnete Talon. »Erinnerungen haben mich wach gehalten.« Trotz der frühen Morgensonne glänzte der Schweiß auf seinem Körper. Die Hitze des Tages grub sich unnachgiebig in seine Haut.
[Erinnerungen? An ... die Zeit davor?] , wollte die Löwin wissen. Der hochgewachsene Mann zuckte mit den Schultern und beugte sich vor. Er schöpfte mit den Händen Wasser und schüttete es sich in das erhitzte Gesicht.
Das abgestandene Wasser klärte seine Sinne ein wenig. Erneut tauchte er seine Hände ein und trank mit schnellen Schlucken, schöpfte einmal nach und schüttelte dann seine Hand aus.
Die Sonne erhob sich nun rasch über der Hügelkette im Osten.
»Lass uns aufbrechen«, schlug er der Löwin vor, »bevor es noch heißer wird.«
Eine Unruhe machte sich in ihm breit, als er die ersten Schritte setzte. Er war vor Wochen zum letzten Mal bei der Absturzstelle gewesen. Etwas in ihm scheute diesen Ort. Bilder wie die der vergangenen Nacht stürmten dort ungehindert auf ihn ein.
[Deine Keule] , forderte T'cha ihn auf. Talon stutzte einen Moment und reichte ihr dann das Gazellenbein. Die Löwin verharrte in ihrem Schritt, schlug ihre Reißzähne in das ausgeblutete Fleisch und riss ein großes Stück heraus. Sie schlang es herunter und setzte ihre Schritte fort.
Talon hob den Rest seiner Jagdbeute an seinen Mund und zerrte eher mechanisch ein paar Stücke aus dem Hinterlauf. Er kaute in Gedanken verloren darauf herum und schluckte das Fleisch erst, als ihm bewusst wurde, dass es keinerlei Geschmack mehr besaß.
Ohne Appetit reichte er den fleischbehangenen Knochen der alten Löwin. Diese knurrte auf und ließ sich die Einladung nicht entgehen. Talon kauerte neben ihr, während sie die frühe Mahlzeit genoss. Ab und an hörte er einen Knochen brechen, wenn T'cha ihre Beute mit den Zähnen zermalmte.
Er grinste müde und kraulte sie hinter dem Ohr, als sie fertig war. Die Löwin reckte ihm den Kopf entgegen, schüttelte sich aber schließlich und setzte ihren Weg fort. Talon erhob sich und sah sich um. Die Absturzstelle lag gut zwei Stunden Fußweg entfernt im Norden, nicht weit entfernt vom großen See. Er hielt sich von dieser Region fern. Zahlreiche Menschen siedelten in ihrer Umgebung, und Talon mied ihre Nähe.
Unerbittlich zog die Sonne über den dunstverhangenen Himmel. Die karg bewachsene Savanne bot den beiden Wanderern nur wenig Schutz vor der Hitze.
Vor ihnen stieg der Boden leicht an. Dahinter lag der Abhang, der in eine weite Ebene überging. Von seiner Kuppe aus hatte man einen guten Überblick über den Ort, an dem seine Erinnerung endete.
T'cha lief leichtfüßig die Anhöhe hoch, während Talon seine Hände in die Erde drücken musste, um mit ihr Schritt zu halten.
Er keuchte, als er den Kamm erreichte und zu der Löwin aufschloss. Sie hatte sich eng an den ockerfarbenen Boden gepresst und hielt den Kopf gesenkt.
»Was ist?«, wollte er wissen.
[Still!] , wies sie ihn zurecht. [Wir sind nicht allein.]
Talons Augen verengten sich zu Schlitzen. Er legte sich flach auf
Weitere Kostenlose Bücher