Dunkles Feuer
hinter sich gebracht, als Dao aus dem Grün hervorbrach und sich auf ihn stürzte.
Jin fiel auf den Rücken. Der Stab mit den Suppenterrinen zerbrach und der Inhalt ergoss sich auf den schlammigen Boden. Bevor er richtig wusste, was geschah, warf sich Dao auf ihn. Wirbelnde Fäuste trafen sein Gesicht. Er hob beide Arme schützend hoch. Zwischen den Schlägen hörte er immer wieder Daos keuchenden Atem und seine hasserfüllten Beschimpfungen.
Jin schaffte es, sich mit einer ruckartigen Bewegung zur Seite zu drehen, er riss sein Knie hoch und konnte den Gegner abwerfen. Dao wurde im Unterleib getroffen und krümmte sich am Boden. Jin sprang hastig auf.
„Warum machst du das?“, brüllte er auf Dao herab.
„Weil dein Vater ein Schwein und deine Mutter eine Hure ist“, kreischte Dao.
Jin wusste nicht, was eine Hure sein sollte, aber die Beleidigungen gegen seine Eltern versetzten ihn in Rage. Wütend trat er auf Dao ein. Immer wieder schoss sein Fuß vor, bis ein Übelkeit erregendes Knirschen ihn wieder zur Besinnung brachte. Dao lag im Schlamm und rührte sich nicht mehr. Aus seinem Mund und seiner Nase floss Blut auf die Erde. Nur ein leises Stöhnen ließ erkennen, dass er noch am Leben war.
Erschrocken beugte sich Jin zu ihm hinab. Seine Hand streckte sich nach Dao aus, aber dieser stieß sie zur Seite.
„Dafür bringe ich dich um!“, zischte Dao hasserfüllt.
Jin wandte sich um und rannte weinend nach Hause.
Eine Woche später klingelte mitten in der Nacht das Telefon. Li Chen, Jins Vater, erhob sich schwerfällig aus seinem Bett und trottete in den Raum, der als Küche und Wohnstube diente. Als Ortsvorsteher war er der Einzige, außer dem Arzt, der über ein Telefon verfügte, und so ahnte er, dass es sich um ein Ferngespräch handelte. Er nahm den Hörer von dem altmodischen Apparat und meldete sich.
„Li?“, es war die Stimme seines Schwager Xiao Zhi, des Bruders seiner Frau. Xiao lebte im fernen Peking, nachdem er in der Partei Karriere gemacht hatte. Seit Jahren war der Kontakt zu ihm eingeschlafen.
„Ja, ich bin es“, antwortete Li Chen und warf einen Blick auf den Metallwecker, der auf dem einzigen Küchenregal stand. Drei Uhr nachts. Was konnte so wichtig sein, dass ihn Xiao um diese Uhrzeit anrief?
„Hör mir gut zu. Du musst sofort verschwinden. Nimm Honghua und die Kinder und mach dich sofort auf den Weg.“
„Was?“, Li verstand überhaupt nichts. Was faselte sein Schwager da?
„Npei ist verhört worden. Er hat gestanden, Verrat am Volk und an der Partei begangen zu haben.“
„Npei ist ein Idiot“, entgegnete Jins Vater. „Er hat gestanden? Was soll er denn gestanden haben? Dass er Reis gestohlen hat?“
„Verstehst du denn den Ernst der Lage nicht?“, flehte Xiao. „Die Partei ist auf dich aufmerksam geworden und man will dich befragen.“
„Ich habe nichts zu verbergen.“
„Das hatte Npei auch nicht. Sie haben ihn gefoltert, bis er gesagt hat, was sie hören wollten.“
Li Chen hatte seinem Land treu gedient, war für die Partei eingetreten und hatte an die Sache des Volkes geglaubt, aber jetzt befiel ihn panische Angst. Sie kam unerwartet, ohne Vorankündigung und erschütterte seine Seele. Sein Vater hatte Mao auf dem Langen Marsch begleitet, an seiner Seite gegen die Bourgeois gekämpft und galt als Held der Revolution, aber Li wusste in diesem Augenblick, dass nichts ihn retten konnte. Nicht seine Verdienste und auch nicht das Ansehen seines verstorbenen Vaters. Sie würden ihn abholen und so lange auf ihn einprügeln, bis auch er gestand.
„Was soll ich bloß tun?“, fragte er mit Tränen in der Stimme.
„Ich habe für alles gesorgt. Du musst dich nur bis Yidu durchschlagen. Dort habe ich bei einem Freund Karten für den Zug nach Hengyang in der Hunan-Region für dich und deine Familie hinterlegen lassen. Danach fahrt ihr weiter nach Shaoguan und Guangzhou. Von dort bringt euch ein Auto nach Kowloon.“
„Kowloon? Was sollen wir in Kowloon? Der größte Teil ist Sperrgebiet. Da kommen wir nie hin.“
„Dort müsst ihr aber hinkommen, wenn ihr nach Hongkong wollt.“
Hongkong . Das Wort besaß eine merkwürdige Anziehungskraft und stieß ihn dennoch angewidert ab. In Hongkong lebte der Feind. Der Unterdrücker und Ausbeuter der arbeitenden Klasse. Aber Hongkong war auch das Tor zur Freiheit. Auf dem Festland selbst würde man sie früher oder später schnappen. Ihre Flucht kam einem Geständnis gleich. Er musste sich entscheiden. Hier und
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