Dunkles Feuer
verlassen können. Sie musste schlecht geträumt haben, eine andere Erklärung ließ die Vernunft nicht zu. Und doch ließ ihn die Erinnerung an ihre Angst und ihre röchelnde Stimme nicht los. Es konnte nicht sein, und doch war es so.
Peter wollte Julie beschützen, auch wenn er nicht genau wusste, wovor. Und das machte es noch schlimmer. Er fühlte sich so machtlos, unfähig, auch nur die Quelle der Gefahr zu entdecken. Das Einzige, was er tun konnte, war, für sie da zu sein. Er beschloss, ihr bei ihrer Rückkehr anzubieten, für einige Tage die Zimmer mit ihm zu tauschen - nur für den Fall.
Obwohl es erst früher Vormittag war, war es schon ziemlich warm, doch der frische Wind und der Schatten der Bäume verhinderten, dass die Wärme sich zu einer unangenehmen, drückenden Hitze entwickelte.
Der kleine Spaziergang munterte Julies Lebensgeister wieder auf, und sie spürte förmlich, wie die sommerliche Brise ihre Ängste und An-spannungen löste.
Schon kam ihr ihre nächtliche Erfahrung, die vor einer Stunde noch so real und Angst einjagend schien, unbedeutend und beinahe lächerlich vor. Als sie den schattigen Waldpfad entlang schlenderte, konnte sie gar nicht mehr nachvollziehen, wie ein einfacher Traum sie so sehr aus der Fassung hatte bringen können. Wahrscheinlich hatte sie zuviel von Daniels Folklore gehört. Denn es musste nur ein einfacher Traum gewesen sein. Peter hatte Recht, niemand hätte in ihr Zimmer eindringen und spurlos wieder verschwinden können.
Nach und nach wanderten ihre Gedanken zu angenehmeren Themen. Sie schaute sich um und bemerkte, wie wunderschön die Natur war. Jetzt kam es ihr befremdend vor, schon bald in eine laute und hektische Großstadt zurückzukehren und nicht mehr die von alten Bäumen und zeitlosen Gebäuden ausgestrahlte Ruhe genießen zu können.
Sie fragte sich, ob sie sich vorstellen könnte, für immer da zu bleiben, die Zivilisation und den Luxus der Großstadt für die ländliche Geborgenheit einzutauschen. Unwillkürlich drängte sich ihr Daniels Gesicht vor Augen, als sie an die guten Seiten des Dorflebens dachte.
Ja, Daniel war ein neuer Faktor in ihren Plänen. Auch wenn sie wusste, dass sie bald abreisen würde, verspürte sie das Verlangen, diesen interessanten Mann, der ihr schon nach kurzer Zeit so sympathisch war, näher kennen zu lernen. Sie hatte gewiss nicht vor, sich in eine Romanze zu steigern oder sich irgendetwas einzureden. Eigentlich war, wenn sie genauer darüber nachdachte, eine Romanze mit Daniel das Letzte, was sie jetzt brauchte. Julie nahm sich fest vor, nichts zu erzwingen und einfach abzuwarten, was sich ergeben würde.
Wie Peter wohl darauf reagieren würde? Julie fand, dass er sich Daniel gegenüber sehr eifersüchtig benahm, auch wenn er selbst Daniel deutlich mochte.
Eigentlich war Peter neben ihrem Vater immer der wichtigste Mann in ihrem Leben gewesen, deshalb war es ihr immer wichtig gewesen, was er von ihren Freunden hielt.
Wenn sie so darüber nachdachte, hatte sich ihre Beziehung nicht ganz so entwickelt, wie sie es sich immer vorgestellt hatte. Früher hatte es für sie immer festgestanden, dass sie eines Tages heiraten würden, schon als kleines Mädchen hatte sie davon geträumt. Später als Teenager hatte sie heftig für ihn geschwärmt. Doch irgendwann ging das vorüber, das Leben hatte es anders gewollt. Und nun verband sie eine tiefe Freundschaft, nein, eher eigentlich Geschwisterliebe, denn die Zeit hatte ihrer Beziehung fast jegliche Spannung genommen. Aber eben nur fast, dachte Julie, als sie sich an Peters Verhalten in den letzten Wochen erinnerte. Doch andererseits hätte ein Bruder genauso reagieren können.
Ach, es war einfach zu kompliziert. Julie fühlte sich zwischen zwei Männern hin und her gerissen. Warum kam ihr bloß jede nette Geste Daniel gegenüber als Verrat an Peter vor? Und warum wusste sie nicht, was ihr wichtiger war: Peters Freundschaft oder Daniels Avancen? Warum musste sie sich überhaupt entscheiden? Warum musste alles immer komplizierter werden, anstatt so weiterzulaufen wie bisher?
Julie fühlte sich eindeutig überfordert mit zwei ziemlich realen Männern und einem vielleicht existierenden Gespenst.
Sie atmete noch einmal tief durch und schaute sich flüchtig um. Dabei entdeckte sie eine Gestalt, die sich ihr auf dem Weg näherte. Als die Gestalt näher kam, erkannte Julie zu ihrem Erstaunen, dass es Daniel war, der seinen Schritt beschleunigte, sobald er sie sah. Sie trafen sich unter einer
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