Dunkles Geheimnis
schaute rasch die Absender durch. Kein einziger Name, den ich wiedererkannte. Die Profilbilder gaben mir auch keine Hinweise. Ein paar gezeichnete Figuren und mehrere verschwommene Fotos ohne deutliche Umrisse.
Ich konnte mir kaum vorstellen, dass die alle von alleine daraufgekommen waren, mich im Netz zu mobben.
Irgendjemand hatte sie dazu aufgefordert.
Mein erster Gedanke war, jeden Einzelnen zur Rechenschaft zu ziehen. Doch das wäre ein hoffnungsloses Unterfangen. Die meisten wussten sicher nicht einmal, wer ich war. Sie fanden es bloß cool, jemanden auf Facebook fertigzumachen. So funktionierten viele. Sie hörten bloß auf irgendwelche Gerüchte und versuchten gar nicht erst die Wahrheit herauszufinden.
Ich löschte alle Nachrichten, Kommentare und Absender, die mir zugänglich waren, aber ich wusste, dass noch mehr folgen würden, gegen die ich mich nicht wehren konnte.
Dann loggte ich mich aus.
Vom Computer wurde mir bloß schlecht, den würde ich vorerst nicht mehr benützen.
Ich fühlte mich hilflos.
Und verlassen.
Ich versuchte Jo anzurufen, aber sie meldete sich nicht. Wenn sie unterwegs war, vergaß sie immer, ihr Handy aufzuladen. Mit ihren Eltern und ihren Pferden war sie vollkommen glücklich und zufrieden.
Einen Moment lang beneidete ich sie. Warum geriet immer ich in Schwierigkeiten?
Und was war mit Alexander?
Während ich seinen Namen in meinen Kontakten auf dem Handydisplay anstarrte, versetzte es mir einen Stich. Was würde er denken, wenn er das Foto sah? Oder hatte er es schon gesehen? War er darum nicht in die Schule gekommen? Weil er sich für mich schämte?
Ich traute mich nicht, ihn anzurufen. Sollte er doch mit mir Kontakt aufnehmen! Wenn er das überhaupt vorhatte …
Kurz erwog ich, zu Mama ins Atelier zu gehen und mit ihr zu reden. Sie würde mir wenigstens glauben. Aber außerdem würde sie wahnsinnig wütend werden, Himmel und Erde in Bewegung setzen, beim Rektor und allen Lehrern für Aufruhr sorgen, sämtliche Eltern anrufen und bestimmt auch die Polizei.
In ihren Händen würde der Vorfall zu einer Lawine anschwellen, die mich unter sich begrub. Dieses Risiko wollte ich nicht eingehen.
Vorläufig war es eine Sache, die bloß die Leute, die auf Facebook rumhingen, kannten. Peinlich und beschissen, aber vielleicht würde sich die Gerüchteküche stoppen lassen.
Ich sah ein, dass ich möglichst schnell mit Ted sprechen musste, bevor das Foto noch weiterverbreitet wurde und die Lüge sich in eine Wahrheit verwandelte, an die alle glaubten.
Ich rief sein Handy an, aber er antwortete nicht. Ich sah auf die Uhr. Die Siebtklässler hatten heute ihren Geländetag. Bestimmt war Ted mit irgendeiner Klasse unten am Brosee.
Wuff federte vom Bett hoch und wedelte mit dem Schwanz.
„Okay, von mir aus ein kurzer Spaziergang“, sagte ich. „Aber dann muss ich mit dem Fahrrad wohin.“
*
Ted sah Svea, als er gerade mit ein paar Mädels in pastellfarbenen Trainingsanzügen argumentierte, die sich hartnäckig weigerten, im Wald zu laufen.
Svea trug einen Trainingsanzug in den Mannschaftsfarben, dunkelblau und schwarz. Sie kam schnell und geschmeidig auf ihn zu, ihr blondes halblanges Haar vom Wind zerzaust. Das Mädchen hatte etwas Besonderes an sich. Er konnte nicht umhin, sie zu bewundern.
Warum war sie nicht in der Schule? Wollte sie joggen?
Sie schob ihr Fahrrad über den Kies und stapfte mitten in die Wasserpfützen, dass das Wasser an ihre Hosenbeine spritzte.
Was war da los?
Die Siebtklässler verstummten und zogen sich zurück. Sveas drohende Erscheinung sprach eine deutliche Sprache.
Geht mir aus dem Weg!
Ted wurde es allmählich mulmig. Gestern Abend hatte er einen merkwürdigen Anruf erhalten, der ihn sehr empört hatte. Nicht nur bei den Kriminellen gab es Wahnsinnige und Psychopathen, nein, auch Eltern konnten dazugehören.
Erst hatte er versucht, die Sache zu erklären, schließlich aber bloß den Hörer aufgeknallt.
Vielleicht war das die falsche Taktik gewesen.
Es war um Svea gegangen.
Und um ihn.
Inzwischen war sie nur ein paar Meter von ihm entfernt.
„So eine Superscheiße! Ich glaub, alle sind total durchgeknallt!“, rief sie.
Es wurde totenstill. So still war es nicht einmal während der Versammlungen in der Aula, obwohl da die gesamte Lehrerschaft anwesend war.
Ted lief ihr entgegen und griff nach ihrem Ärmel.
„Komm“, sagte er leise.
Er hielt sie nur für den Bruchteil einer Sekunde fest, dennoch ging ein Raunen durch die
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