Durch den Sommerregen
fahre ich ihm über den Mund. Verkrampft sitze ich auf der Lehne, weit weg von ihm.
Schließlich sucht er meinen Blick. „Du bist richtig sauer auf mich!“, stellt er fest.
„Natürlich, du Schnellmerker. Versteh mich nicht falsch, ich will auch kein Kind, zumindest jetzt noch nicht, aber du hast völlig überreagiert und mir deutlich gemacht, für wie unfähig du mich hältst. Dann meldest du dich über eine Woche nicht.“ Ich bin müde und eigentlich möchte ich ihn jetzt schnappen und mit in mein Bett nehmen. Ausnahmsweise nur zum Schlafen. „Was soll ich da bitteschön denken?“
„Du bist wieder rausgestürmt, Helena. Bevor ich überhaupt eine Chance hatte, meine Bemerkung zurückzunehmen und dir meine Reaktion zu erklären.“
„Die schien deutlich. Mir war nicht klar, dass es etwas gab, worauf ich noch hätte warten können.“
„Es gibt eine Menge, was ich dir sagen muss.“ Er rückt ein Stück an mich ran und will nach meinen Händen greifen, aber ich entziehe mich sofort.
„Dann lass mich zuerst ein paar Sachen klarstellen. Ich kämpfe immer noch jeden Tag darum, nicht wieder alle Leute von mir zu schieben und mich abzukapseln. Ich versuche zu glauben, dass ich nicht alles vergifte, was ich berühre. Und ich versuche wirklich, wirklich mit dir zusammen zu sein. Weil ich es will, nicht weil ich das Gefühl habe, es zu müssen. Eigentlich habe ich nicht mehr daran geglaubt, dass ich noch einmal eine Chance bekomme, mich zu ...“ Den Satz kann ich einfach nicht beenden, selbst wenn ich wollte. „Aber wenn du so etwas zu mir sagst, in dieser Art und Weise, dann mache ich automatisch drei Schritte rückwärts und das kannst du mir auch nicht vorwerfen.“
„Um es kurz zu machen: Ich bin in riesengroßes Arschloch. Es war ausschließlich meine eigene Panik, die zu dieser Reaktion geführt hat. Damals, als wir uns noch nicht besonders gut kannten, habe ich dich gefragt, ob du Kinder willst. Du hast die Frage nie zurückgegeben. Helena, ich mag Kinder. Meine Nichten und Neffen finden ihren Onkel Gabriel großartig, so selten sie mich sehen, und ich bin auch total verrückt nach diesen kleinen Wirbelwinden. Mila ist das niedlichste Baby, was mir je untergekommen ist. Wenn Sam sie mit in den Shop bringt, dann streckt sie sofort die Arme zu mir aus. Das Irritierende ist, dass ich mir durchaus vorstellen kann, ein eigenes Kind zu haben. Aber dann denke ich an meinen Vater und daran, wie sehr die Gene vielleicht eine Rolle spielen können. Was ist, wenn ich eines Tages die Geduld verliere und mir die Hand ausrutscht? Ich denke, es gibt einen Punkt, an dem kann man nicht mehr zurück und fühlt sich vielleicht auch irgendwann im Recht mit seinen Taten.“
Ich kann nicht fassen, dass er so über sich denkt. Gabriel ist die liebevollste und entspannteste Person, die ich kenne.
„Du bist nicht dein Vater. Das traue ich dir einfach nicht zu.“
„Aber ich traue mir selbst nicht. Nicht zu diesem Zeitpunkt. Du weißt, wozu ich fähig bin.“
Es bricht mir das Herz, dass er so über sich denkt. Jetzt kann ich ihm doch nicht mehr fern bleiben und setze mich ganz nah neben ihn.
„Du bist dazu fähig, alles, aber auch wirklich alles zu tun, um einen von dir geliebten Menschen zu schützen. Das sehe ich in dir. Keinen prügelnden Psychopaten, der bei jedem falschen Wort gleich völlig ausklinkt. Vielleicht bist du genetisch das Kind deines Vater, aber du bist vor allem, und nicht nur genetisch, der Sohn einer wunderbaren und liebevollen Mutter.“
Ich versuche seine Hand zu nehmen, aber jetzt lässt er mich nicht.
„Warum sagst du so etwas?“ Mit verschwommenem Blick schaut er mich von der Seite an.
„Weil ich es meine. Weil es das ist, was ich sehe. Du. Bist. Nicht. Dein. Vater!“
„Ich sehe aus wie er. Wenn ich den Bart zu lang werden lasse, dann sind seine alten Fotos wie ein Spiegelbild.“
Es ist mir egal, ob er mich wieder wegschubst, ich muss wenigstens versuchen ihn zu berühren. Behutsam lege ich eine Hand auf seine stoppelige Wange. Heute trägt er den Bart extrem kurz, als hätte er ihn vor wenigen Stunden erst gestutzt.
Gabriel schließt die Augen. Jetzt rinnen zwei dicke Tränen an seinen Wangen herab. Es macht ihn fertig, sich damit auseinanderzusetzen. Auch wenn er im Alltag besser damit umgeht als ich, zeigt es doch, dass wir beide einiges noch nicht verarbeitet haben.
„Egal was dein Spiegel dir zeigt, du bist Gabriel. Die warmherzigste und fürsorglichste Person, die ich
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