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Durch die Hintertür

Durch die Hintertür

Titel: Durch die Hintertür Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Lear
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und schmalhüftigen Leonard, wirkte er durchaus männlich. Er hatte bereits mit den ersten Folgen von Haarausfall zu kämpfen, wie die Geheimratsecken in seinem dunkelbraunen Haar zeigten. Er war groß, blass und kurzsichtig, vermittelte den Eindruck eines Mannes, der zu wenig Zeit im Freien verbrachte. Er konnte nur wenige Jahre älter als ich sein, wäre aber als Dreißigjähriger durchgegangen. Er trug ein weißes Hemd, eine elegante Fischgratweste und passende Hosen; das Jackett hing ordentlich über einem Stuhl. Seine Krawatte, die er in einem großen Windsorknoten gebunden hatte, war gelockert – sein einziges Zugeständnis an die sommerliche Hitze. Ich hingegen hatte so wenig an, wie nur möglich war: ein kurzärmeliges Hemd und eine weite Leinenhose.
    Ich wollte gerade gehen und mir mein Scheitern eingestehen, als mir der Gedanke kam, dass der persönliche Sekretär von Sir James womöglich eine weitaus bessere Quelle sein könnte als Sir James selbst, vor allem angesichts der prekären Stellung des jungen Mannes in diesem Haus. Ein so einsamer Mensch ohne Freunde und ohne ein richtiges Zuhause ließ sich doch sicher zu einem Schwätzchen mit einem freundlichen jungen Mann wie mir überreden. Die Wahrscheinlichkeit erhöhte sich noch, als ich merkte, wie er den Blick nicht auf mein Gesicht, sondern auf das Büschel schwarzer Haare richtete, den mein offener Hemdkragen ermöglichte.
    »Es ist sicher großartig, für einen Mann wie Sir James zu arbeiten«, sagte ich und dachte mir, dass wohl eher das Gegenteil der Fall sei. »Er ist ein Mann, mit dem man wirklich rechnen kann, nicht so wie die Typen auf der Universität, die in ihrem Elfenbeinturm leben. Er steht mit beiden Beinen im Leben. Ich beneide Sie.«
    Der Sekretär hob die Brauen ein wenig, nickte aber. »Ja, Sir James ist ein ausgezeichneter Arbeitgeber. Ich habe großes Glück, wie Sie sagen.«
    Das war nicht die ganze Wahrheit, und ich erinnerte mich an Burroughs’ Aussage, dass jeder im Haushalt der Eagles ein Geheimnis verberge. Warum nicht auch dieser blasse und ernste junge Mann?
    »Ich würde alles geben, um ein paar Monate in Ihren Schuhen stecken zu können.«
    »Ach, wirklich?« Der Sekretär warf mir einen Blick zu, in dem sich Sarkasmus und Scham mischten. Dieser Mann war alles andere als zufrieden mit seinem Los.
    »Aber sicher. Zugang zu all diesen wichtigen Fragen, zu den Mächtigen, zu den Dingen, von denen nichts in der Zeitung steht. Die Dinge, die wirklich zählen.«
    Dieses Mal konnte der Sekretär sich nicht mehr zurückhalten und gab einen Laut von sich, den man für gewöhnlich mit »Pah!« umschreibt.
    »Oh. Dann macht das wohl doch nicht so viel Spaß, wie es aussieht, Mr. … tut mir leid, wir wurden einander noch nicht vorgestellt. Ich bin Edward Mitchell.«
    »Ich weiß, wer Sie sind, Mr. Mitchell«, antwortete er und nahm meine Hand sehr zögernd, als würde er sie lieber nicht berühren. Seine Hand war warm und trocken, was mir Mut machte. Ich hatte schon befürchtet, dass er – wie so viele der streberhaften Typen, die ich auf dem College getroffen hatte – zu klammen Händen neigen würde. »Ich bin West, Vincent West.«
    »Freut mich, Sie kennenzulernen, Vince.«
    Bei dieser Vertraulichkeit zuckte er kurz zusammen, doch wenigstens hatte er es nicht mehr so eilig, mich hinauszukomplimentieren.
    »Ich raube Ihnen ungern Ihre Illusionen, Mr. Mitchell«, sagte er mit gesenkter Stimme, »weil ich genauso dachte wie Sie, als ich in Ihrem Alter war und gerade von Cambridge abging, um in der Verwaltung zu arbeiten. Ich träumte davon, die Korridore der Macht entlangzuschlendern, wie Sie schon sagten. Davon, das öffentliche Leben hinter den Kulissen zu beeinflussen. Nun, daraus wurde nichts, wie Sie sehen.«
    »Von meiner Warte aus sieht doch alles gut aus.« Unsere Blicke trafen sich, und wie auf Absprache senkten sie sich sogleich auf den Schritt des anderen. Es war einer dieser Momente des gegenseitigen Erkennens, die mich immer wieder aufs Neue erstaunen.
    »Von hier aus ebenfalls«, sagte West flüsternd und errötete dabei stark. Er räusperte sich. »Mr. Mitchell, ich muss mich jetzt wieder um die Korrespondenz kümmern, sonst macht Sir James Kleinholz aus mir, wie es so schön heißt. Aber sollten Sie zum Mittagessen noch nichts vorhaben …«
    »Habe ich nicht.«
    »… dann gestatten Sie mir vielleicht, Ihnen das Haus zu zeigen? Das ist eine meiner vielen Pflichten. Ich führe die Besucher durchs Haus. Oh,

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