Durch Mark und Bein: 4. Fall mit Tempe Brennan
merkwürdiger Ausdruck auf seinem Gesicht.
»Aber ich kann Ihnen sagen, dass einflussreiche Leute damit zu tun haben.«
»Der Dalai Lama? Die Vereinigten Stabschefs?« Wut machte meine Stimme barsch.
»Seien Sie nicht wütend auf mich, Tempe. Diese Ermittlung ist eine riesige Mediensensation. Wenn sich Probleme ergeben, will keiner sie haben.«
»Also schiebt man mir was in die Schuhe für den Fall, dass man einen Sündenbock braucht.«
»So ist das nicht. Ich muss mich einfach nur an die entsprechenden Verfahrensweisen halten.«
Ich atmete tief durch.
»Was passiert jetzt?«
Er sah mir direkt in die Augen, und seine Stimme wurde sanfter.
»Ich werde Sie bitten müssen zu gehen.«
»Wann?«
»Sofort.«
Jetzt war ich es, die in den Nebel starrte.
Mitten am Tag war das High Ridge House verlassen. Ich hinterließ Ruby einen Zettel, auf dem ich ihr dankte und mich für meine abrupte Abreise und meine Barschheit am Abend zuvor entschuldigte. Dann packte ich meine Habseligkeiten zusammen, warf sie in meinen Mazda und fuhr so schnell davon, dass die Reifen Kies verspritzten.
Auf der ganzen Fahrt zurück nach Charlotte bremste und beschleunigte ich ruckartig, jagte mit quietschenden Reifen von Ampel zu Ampel und sprang von Spur zu Spur, als ich dann den Highway erreicht hatte. Drei Stunden lang fuhr ich zu dicht auf und drückte auf die Hupe. Ich redete mit mir selbst, probierte Wörter aus. Gemein. Verabscheuungswürdig. Fies. Andere Fahrer mieden meinen Blick und ließen mir viel Platz.
Ich war zugleich wütend und deprimiert. Die Ungerechtigkeit einer anonymen Anschuldigung. Die Hilflosigkeit. Ein Woche lang hatte ich unter brutalen Bedingungen gearbeitet, hatte den Tod gesehen, gerochen, gespürt. Ich hatte alles liegen und stehen lassen, hatte mich ganz dieser Aufgabe gewidmet und war dann entlassen worden wie ein Dienstbote, den man des Diebstahls verdächtigte. Keine Anhörung. Keine Gelegenheit für eine Rechtfertigung. Kein Dankeschön. Pack deine Sachen und verschwinde.
Neben der beruflichen Demütigung war das für mich auch eine persönliche Enttäuschung. Obwohl Larke und ich seit Jahren Freunde waren und er wusste, wie penibel und genau ich in meiner Berufsauffassung war, hatte er mich nicht verteidigt. Larke war kein Feigling. Ich hätte mehr von ihm erwartet.
Das wilde Fahren erfüllte seinen Zweck. Als ich die Außenbezirke von Charlotte erreichte, hatte meine schäumende Wut sich in kalte Entschlossenheit verwandelt. Ich hatte nichts Ungehöriges getan und würde meinen Namen rein waschen. Zuerst würde ich herausfinden, was der eigentliche Grund für diese Beschwerde war, dann würde ich sie widerlegen und meine Arbeit beenden. Und ich würde mir den Ankläger vorknöpfen.
Mein leeres Stadthaus nahm meiner Entschlossenheit den Wind aus den Segeln. Keiner, der mich begrüßte. Keiner, der mich in den Arm nahm und mir sagte, dass alles gut werden würde. Ryan zankte sich mit einer entfernten Danielle, wer auch immer das sein mochte. Er hatte mir gesagt, es gehe mich nichts an. Katy war bei Freunden, deren Geschlecht ich nicht kannte, und Birdie und Pete waren am anderen Ende der Stadt. Ich warf meine Taschen auf den Boden, ließ mich aufs Sofa fallen und heulte.
Zehn Minuten später lag ich still, aber mit bebender Brust da und fühlte mich wie ein Kind nach einem Wutanfall. Ich hatte nichts erreicht, aber ich fühlte mich kraftlos. Ich schleppte mich ins Bad, schnäuzte mich und hörte dann meinen Anrufbeantworter ab.
Nichts, um meine Stimmung aufzuhellen. Ein Student. Telefonverkäufer. Meine Schwester Harry, die aus Texas anrief. Eine Anfrage meiner Freundin Anne: Ob ich mit ihnen essen gehen wolle, da sie und Ted nach London flögen?
Toll. Sie saßen wahrscheinlich bei einem Dinner im Savoy, während ich ihre Nachricht löschte. Ich beschloss, Birdie abzuholen. Wenigstens der würde in meinem Schoß schnurren.
Pete wohnt noch immer in dem Haus, das wir uns fast zehn Jahre lang geteilt hatten. Obwohl es mehrere hunderttausende Dollar wert ist, ist der Zaun mit Holzbrettern repariert, und im Hinterhof lümmelt ein windschiefes Tor, ein Überrest aus Katys Fußball-Jahren. Das Haus ist frisch getüncht, der Rinnstein gereinigt, der Rasen gemäht, alles von Profis. Eine Zugehfrau hält drinnen alles in Ordnung. Aber bei allem, was über den normalen Unterhalt hinausgeht, ist mein Mann ein Vertreter des Laissez-Faire und der Provisorien. Er fühlt sich nicht verpflichtet, die
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