Durch Mark und Bein: 4. Fall mit Tempe Brennan
wir kein Zimmer öffnen und keine Informationen über Gäste herausgeben.« Seine Stimme klang ölig glatt.
»Was für andere?«
Ralph atmete in ironischer Nachsicht tief ein.
»Kann ich Ihnen sonst noch in irgendeiner Weise behilflich sein?«
Nun ließ ich meine Stimme so scharf klingen wie ein Skalpell.
»Wenn Primrose Hobbs wegen Ihrer Grundsätze zu Schaden kommt, dann werden Sie sich wünschen, Sie hätten nie einen Hotelmanagement-Kurs besucht.«
Ralph Stovers Augen verengten sich, aber das Lächeln blieb.
Ich zog eine Visitenkarte aus meiner Tasche und schrieb meine Handy-Nummer darauf.
»Falls Sie Ihre Meinung ändern sollten, rufen Sie mich an.«
Ich drehte mich um und ging zur Tür.
»Einen schönen Tag noch, Ma’am.«
Ich hörte Umblättern, das Klimpern des Armbands.
Ich gab tüchtig Gas, brauste vom Parkplatz, raste ein Stück den Highway hoch und fuhr nach etwa fünfzig Metern aufs Bankett. Falls meine Menschenkenntnis mich nicht täuschte, würde die Neugier Ralph Stover zu Primroses Zimmer treiben. Und zwar sofort.
Ich schloss hastig das Auto ab, lief zur Zufahrt des Riverbank Inn zurück und schlug mich in den Wald. Dann lief ich parallel zu dem Kiesweg, bis ich einen guten Blick auf das Motel hatte.
Meine Intuition hatte mich nicht getäuscht. Ralph ging zielstrebig zu Zimmer vier. Er schaute sich nach links und rechts um, schloss dann die Tür auf und schlüpfte hinein.
Minuten vergingen. Fünf. Zehn. Mein Atem normalisierte sich. Der Himmel verdüsterte sich, und der Wind frischte auf. Hoch über mir bogen und neigten sich Kiefernwipfel wie Ballerinas, die Armübungen sur les pointes machten.
Ich dachte an Primrose. Obwohl wir uns seit Jahren kannten, wusste ich nur sehr wenig über die Frau. Sie war geschieden und hatte irgendwo einen Sohn. Darüber hinaus war ihr Leben für mich ein unbeschriebenes Blatt. Warum? Hatte sie mir nichts erzählen wollen, oder hatte ich mir nie die Mühe gemacht, sie zu fragen? Hatte ich Primrose behandelt wie so viele, mit denen wir in Kontakt kommen, die uns die Post bringen, unsere Berichte tippen, unsere Häuser putzen, während wir unsere eigenen Interessen verfolgen und die ihren nicht beachten?
Vielleicht. Aber ich kannte Primrose gut genug, um eins zu wissen: Sie würde nie eine Arbeit unbeendet lassen.
Ich wartete. Ein Blitz zuckte aus einer auberginefarbenen Wolke und erhellte ihr Inneres wie eine Millionen-Watt-Arterie. Donner grollte. Das Gewitter war nicht mehr weit entfernt.
Schließlich kam Stover wieder heraus, zog die Tür zu, rüttelte am Knauf und lief dann den Fußweg entlang. Als er wieder in seinem Büro war, umkreiste ich, die Bäume als Deckung nutzend, das Motel in sicherer Entfernung. Auf der einen Seite hatte ich die Rückfront des Hotels, auf der anderen den Fluss. Ich ging zwischen den Bäumen hindurch bis zu einer Stelle, wo ich meinte, direkt auf die Rückseite von Nummer vier zu sehen, blieb dort stehen und horchte.
Wasser, das über Steine rauschte. Äste, die im Wind raschelten. Das Pfeifen eines Zugs. Klappen, die in meiner Brust arbeiteten. Donner, der immer lauter wurde. Und häufiger.
Ich schlich bis zum Waldrand und spähte hinaus.
Eine Reihe hölzerner Veranden säumte die Rückfront des Hotels, an jedes Geländer war eine schmiedeeiserne Nummer genagelt. Wieder hatten mich meine Instinkte nicht getäuscht. Nur fünf Meter Rasen trennten mich noch von Zimmer vier.
Ich atmete tief ein, rannte über den Rasen und sprang in zwei Schritten die vier Stufen zur Veranda hinauf. Dann hastete ich über die Veranda und zog an der Fliegengittertür. Sie öffnete sich mit lautem Knarzen. Der Wind hatte sich plötzlich gelegt, und das Geräusch schien die gewitterschwere Luft zu zerreißen. Ich erstarrte.
Stille.
Ich schlüpfte zwischen Fliegengitter und innere Tür, drückte die Stirn ans Glas und spähte hinein. Grün-weißer Baumwollstoff versperrte mir die Sicht. Ich drehte am Knauf. Kein Glück.
Leise schloss ich das Fliegengitter wieder, ging zum Fenster und probierte es dort. Wieder Baumwollstoff.
Als ich eine Lücke zwischen unterem Fensterrand und -rahmen bemerkte, drückte ich meine Handflächen an den Rand und schob. Winzige weiße Flöckchen rieselten mir an den Händen herab.
Ich schob noch einmal, und das Fenster ruckelte ein paar Zentimeter nach oben. Wieder erstarrte ich. Im Geist hörte ich eine Alarmsirene, sah Ralph, der mit einer Smith&Wesson aus dem Büro gestürzt kam.
Dennoch schob ich
Weitere Kostenlose Bücher