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Durch Zeit und Raum

Durch Zeit und Raum

Titel: Durch Zeit und Raum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine L'Engle
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euch zeigen.« Sie reichte Herrn Murry einen vergilbten Umschlag. »Müssen sie sich ansehen.«
    Herr Murry schob die Brille auf die Stirn. »Das ist ein Brief von einem Bran Maddox in Vespugia an einen Matthew Maddox, hier bei uns.«
    Die Zwillinge schauten einander an. Sandy sagte: »Vorhin war Meg bei uns, weil sie etwas wissen wollte. Da haben wir auch über einen Matthew Maddox gesprochen, einen Schriftsteller aus dem neunzehnten Jahrhundert. Ist ein Datum auf dem Brief?«
    Herr Murry zog das Blatt vorsichtig aus dem Umschlag. »November 1865 .«
    »Dann könnte das der Matthew Maddox sein, dessen Roman Dennys auf der Uni gelesen hat.«
    »Laß Vater doch endlich vorlesen!« fiel der ihm ins Wort.
    Mein geliebter Bruder Matthew,
    ich grüße Dich an diesem warmen Novembertag aus Vespugia. Schneit es daheim? Ich werde allmählich hier seßhaft, komme mit den Leuten aus Wales gut zurecht, als hätte ich die meisten von ihnen schon zeitlebens gekannt. Welch Abenteuer ist es doch, in diesem trockenen Land eine Kolonie zu schaffen, in welcher man die Kinder in der Schule in Walisisch unterweist und wir uns selbst bei der Arbeit in fröhlichem Rundgesang finden!
    Das Seltsamste ist wohl, daß unsere Familienlegende mich hier eingeholt hat. Papa und Dr. Llawcae werden entzückt sein, dies zu hören; wuchsen wir doch alle mit der Fabel auf, daß einst ein Madoc Wales verließ und sich in der Neuen Welt festsetzte. Glaubt es oder nicht – aber ich weiß, ihr werdet es glauben, denn es entspricht zur Gänze der Wahrheit —, hier in der Siedlung haben wir einen Indianer mit blauen Augen, der behauptet, Nachfahre eines walisischen Prinzen zu sein, der lange vor der Zeit des Weißen Mannes in Amerika Fuß gefaßt habe. Er weiß nicht zu sagen, auf welche Weise es seine Ahnen in den Süden verschlug, aber er schwört Stein und Bein, daß seine Mutter ihm an der Wiege sang, er sei der blauäugige Abkömmling eines walisischen Prinzen. Man heißt ihn Gedder, doch ist dies nicht sein wahrer Name. Als seine Mutter starb, waren er und seine Schwester noch in zartem Alter, und ein englischer Schafzüchter nahm ihn auf; der konnte aber den walisischen Namen nicht recht aussprechen, und so nannte er ihn Gedder. Das wohl Seltsamste kommt aber erst! Seine Schwester heißt Zillie! Wohl ist ihr Auge nicht blau, doch ist sie von anmutiger Gestalt und reizenden Zügen und trägt ihr glänzendes schwarzes Haar in einem langen, glatten Zopf. Damit erinnert sie mich sehr an meine geliebte Zillah.
    Gedder erwies sich bei allem als überaus nützlich, obgleich er ein recht überhebliches Wesen an den Tag legt und stets die Rolle des Führers an sich reißen will, was ihm in unserer Gemeinde schon manchen Tadel einbrachte, denn keiner von uns stellt sich über die anderen.
    Und doch! Wie wunderbar ist es, ausgerechnet an diesem Ort von unserer alten Legende einen Gruß zu empfangen! Unsere Schwester Gwen zuckt dazu allerdings bloß mit der Schulter und meint: »Was ändert diese dumme alte Geschichte an unserem Los!« Gwen meint immer noch, es hier nicht ausstehen zu können, aber es gefällt ihr doch, daß ihr alle jungen Männer nachlaufen.
    Konnte Dr. Llawcae sich schon entscheiden, Zillah im Frühjahr zu uns fahren zu lassen? Die Frauen würden sie willkommen heißen, und für Gwen wäre Zillah geradezu ein Stück Heimat. Ich bin hier glücklich, Matthew, und ich weiß, daß auch Zillah hier glücklich wäre, an meiner Seite, als Gattin und Gefährtin fürs Leben. Bei uns schätzt man die Frauen nicht geringer als die Männer, so viel muß selbst Gwen eingestehen. Vielleicht kannst Du kommen und Zillah mitbringen! Wir sind so weit als Niederlassung gerüstet, daß wir gut für Dich sorgen könnten, und unser trockenes Klima sollte Dir besser zusagen als die ewig feuchte Heimat. Ich bitte Dich, komme! Kommt! Ich brauche Euch beide.
    Von Herzen Dir zugetan, bin ich Dein Bruder,
    Bran
    * Herr Murry ließ den Brief sinken. »Das ist ja sehr interessant, Frau O’Keefe, aber was daran ist so wichtig, daß ich es unbedingt sofort kennenlernen mußte?« Was unausgesprochen bedeutete: Warum haben Sie uns mitten in der Nacht aus dem Schlaf gerissen?
    »Merken Sie’s denn nicht?«
    »Tut mir leid, nein.«
    »Dachte, Sie sind ein heller Kopf.«
    Frau Murry mischte sich ein. »Der Brief wurde in Vespugia aufgegeben. Es ist schon ein seltsamer Zufall, daß Sie einen Brief aus Vespugia besitzen.«
    »Aha!« rief die Alte triumphierend.
    »Wo haben Sie

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