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Durst - Roman

Durst - Roman

Titel: Durst - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Limmat-Verlag <Zürich>
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noch ein Bier und war froh, genug Geld eingesteckt zu haben. Nach einer Weile setzte sich eine andere junge Frau zu mir. Sie hatte braunes Haar und sprach sehr gut Deutsch. Sie komme aus der Ukraine. Wies mir gehen würde und ob ich zum ersten Mal hier sei. Ihre Bitte, etwas trinken zu dürfen, schlug ich ab. Ich hoffte, sie nähme es nicht persönlich, und fragte mich, warum Rosalia so lang brauchte.
    Als sie endlich die Tanzfläche betrat, hätte ich sie kaum wiedererkannt. Sie trug eine rot-weiss gemusterte Fantasietracht, hatte ein Kopftuch umgebunden und ein künstliches Edelweiss im rechten Zopf stecken. Augenblicklich wurde mir klar, wozu dieses alte Filmlied aus den Boxen erklang: Rosalia verkörperte das Heidi.
    Sie tänzelte mit anmutigen Bewegungen auf der Bühne hin und her, wog sich in den Hüften und warf lächelnd die Zöpfe über die Schultern.
    «Heidi, Heidi, deine Welt sind die Be-herge …»
    Ich hätte mir niemals vorstellen können, dass ein Dirndl dermassen sexy wirken kann. Ich bemerkte, dass die anderen Gäste aufgehört hatten, sich mit ihren Mädchen zu unterhalten. Rosalia winkelte den Unterschenkel des linken Beines an und drehte spielerisch eine Pirouette.
    «… brauchst du zum Glücklichsein …»
    Sie griff sich mit beiden Armen ans Kreuz, löste eine Schlaufe, zog den Bändel über den Kopf und liess die Schürze zu Boden gleiten.
    «Hololo-idi, hololo-idi, hololo-idi, hololo-idi …»
    Plötzlich sah sie mir in die Augen. Es war mir, als seien zwangsläufig alle Blicke im Raum auf mich gerichtet. Ich sah, dass Rosalia die Schleifen des Kleides löste und es abstreifte, dass sie – jetzt nur noch mit der weissen Bluse bekleidet – bei der Stange eingehängt eine halbe Drehung vollführte, dann mit dem anderen Arm die Drehung zurück; ich sah ihr fröhliches Lächeln und – nachdem sie auch noch ihre Bluse ausgezogen hatte – ihre Brüste und ihr Höschen, ich sah das alles und konnte es doch nicht betrachten; weil mich Rosalias Blick nicht losliess, weil ich es in Wahrheit war, der beobachtet wurde. Von Rosalia. Und von der skeptisch äugenden Geschäftsführerin, wie ich mit Unbehagen feststellte. Schliesslich trug Rosalia nur noch ihre Sandaletten, ihre Strümpfe, ihr Höschen und das Kopftuch und hüpfte von der Tanzfläche. Ich sah ihrem kleinen, festen Hintern nach und wusste danach eine Weile nicht, wohin mit meinem Blick.
    Als Rosalia – wieder im schwarzen Abendkleid – auf mich zukam, war ich beim dritten Bier. Die Mädchen hatten mich nach Rosalias Show in Ruhe gelassen. Nachdem sie neben mir Platz genommen hatte, bestellte ich ein «Piccolo».
    «Did you enjoy the show?»
    «It was beautiful, really great magic art. You have conjured up the whole people.»
    Sie freute sich über mein Kompliment. Mir fiel auf, dass sich ihre Oberlippe nach aussen wölbte, wenn sie lächelte.
    Nach dem dritten Cüpli brachte ich Rosalia dazu, mir von den Ereignissen jener Nacht zu erzählen. Viel wusste sie nicht. Ein Kunde entdeckte kurz vor drei Uhr Slavkovi ć s Kopf, der auf einem Zaunpfahl des benachbarten Grundstücks steckte. Eine Viertelstunde später waren die Polizeibeamten da. Sie machten Fotografien und überprüften die Personalien der anwesenden Gäste. Inzwischen hatten sie auch Müller aus dem Bett geholt. Schüsse hatte Rosalia keine gehört. Auch sonst nichts Ungewöhnliches bemerkt.
    Ich war erstaunt, dass die Polizei die anwesenden Tänzerinnen nicht einvernommen hatte. Die Mädchen wurden lediglich dazu angehalten, nach Hause zu gehen und mit niemandem über den Vorfall zu sprechen – vor allem nicht mit der Presse.
    Ich sass bereits wieder auf dem Trockenen. Mehr würde ich heute nicht erfahren. Ich überschlug die zu zahlenden Getränke und verglich die daraus resultierende Summe mit dem Betrag, den ich bei mir hatte. Für ein weiteres Bier und eine weitere Viertelstunde Lächeln der durstigen Dame reichte es nicht mehr aus. Ich bezahlte. Dann steckte ich Rosalia meine letzte grosse Note zu und bedankte mich für die Auskunft. Falls ihr noch etwas in den Sinn käme, könne sie mich unter der folgenden Nummer erreichen. Ich schrieb die Zahlenfolge auf einen Zettel und reichte ihn ihr. Als ich beim Hinausgehen noch einmal zurückblickte, hob Rosalia den Arm und begann wie ein verliebtes Schulmädchen zu winken.
    Es regnete, und ich war zu Hause. Ich hatte zum wiederholten Mal die Briefe gelesen und meine Notizen studiert und konnte mir auf all das keinen Reim

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