Durst: Thriller (German Edition)
angeboten, mich morgen Vormittag in Salvador mit ihm zu treffen. Um 19.10 h nehme ich einen Flug von Congonhas. Ich habe schon im Internet nachgeschaut: Du könntest um dieselbe Zeit von Ilhéus fliegen. Oder spätestens morgen. Das Wochenende verbringen wir in Salvador, und Montag fliegen wir zusammen nach São Paulo, dann kannst du dort deine Angelegenheiten regeln und wir haben ein wenig Zeit zusammen. Was hältst du davon? Zahlt alles die Kanzlei, keine Sorge. Mein Termin ist bereits fest vereinbart. Aus vollkommen unerklärlichen Gründen habe ich plötzlich wahnsinnige Lust auf diese fantastische Moquequa im Rio Vermelho. Antworte mir so schnell wie möglich, damit ich deinen Flug buchen lassen kann. Du bekommst den Code und musst nur noch in den Flieger steigen.
Ich liebe dich,
Cássia
Sarah Clarice wandte den Blick von ihrer Mutter ab und trank einen Schluck Kaffee. Angela Young hatte eine unangenehme Eigenschaft, die viele für einen Vorzug halten würden: Man sah ihr auf den ersten Blick an, was ihr gerade durch den Kopf ging. Groß und drahtig, trug sie ihr grau gesprenkeltes Haar raspelkurz. Niemand, der sie zusammen sah, würde auf die Idee kommen, dass es sich bei den beiden Frauen um Mutter und Tochter handelte. Nicht nur, weil man Angela ihre fünfzig Jahre nicht anmerkte, sondern vor allem, weil sich die beiden, abgesehen von der Statur, kein bisschen ähnelten. Sarah Clarice hasste den Haarschnitt ihrer Mutter, weil er sie an die Krankheit erinnerte, aber sie äußerte sich nicht dazu. Das war nicht ihre Angelegenheit.
» Wirst du ins Büro zurückkehren, Sarah? «
Sarah Clarice antwortete nicht. Sie nippte an ihrem Kaffee und wirkte abwesend. Angela verzog den Mund. Sie wusste, dass ihre Tochter, wenn sie nichts sagen wollte, nicht einmal von den schlimmsten Folterknechten dazu gebracht werden könnte.
» Machst du dir Sorgen wegen dieser Geschichte in Juazeiro? «
» Was? « Sarah Clarice schaute ihre Mutter an und lächelte. Dies hier war ihr Zuhause. Sie liebte diese Küche mit den alten portugiesischen Kacheln an den Wänden, dem Holztisch und dem Blick auf eine der schönsten Straßen der Altstadt. Dann erklärte sie, dass sie einfach nur in Gedanken war.
Ihre Mutter nickte. » Ist noch Kaffee da? «
Sarah Clarice klappte den Deckel der Espressokanne hoch. » Ein Schlückchen. «
Eigentlich stimmte es schon, die Sache mit Juazeiro bereitete ihr Sorgen. Matheus hatte sich noch nicht mit den Analyseergebnissen gemeldet, aber sie hatte auch nicht damit gerechnet. Viel beunruhigender war, wie sich die Dinge im Büro entwickelten. Nach der ersten Besprechung hatte sie versucht, Marianne die Sache im Detail zu erläutern, aber die hatte sie behandelt, als wäre das alles nur Zeitverschwendung. Noch vor einer Woche hatte das Projekt höchste Priorität genossen. Jetzt schien es für den Papierkorb zu sein.
Sarah Clarice begriff das nicht. Suchten sie nach einem Vorwand, um sie rauszuschmeißen? Aber das war doch absurd, vollkommen unlogisch. Und wenn sie sich irrte? Wenn sie sich die Dinge zu sehr zu Herzen nahm?
» Ich weiß es nicht « , sagte sie und streckte sich.
» Was? «
» Ob ich ins Büro zurückkehre. «
» Ärger? «
» Die üblichen Probleme mit meiner Chefin. «
» Der Französin? «
» Ja. Sie ist eine Idiotin. «
Angela lächelte.
Sarah Clarice lächelte ebenfalls. » Ich weiß, was du denkst. «
Ihre Mutter hatte die eindringlichsten Augen, die sie je gesehen hatte. Und wenn sie so lächelte, konnte das praktisch alles bedeuten.
» Was denk ich wohl? Lass hören! «
» Warum können diese verdammten Gringos nicht einfach zu Hause bleiben! «
Ihre Mutter lachte mit ihrer klangvollen Stimme.
» Wie hast du das nur erraten? Kannst du Gedanken lesen? «
» Das ist nicht nötig. «
Gemächlich erhob sich Angela in ihrem langen malvenfarbenen Kleid mit dem weiten Halsausschnitt, strich ihrer Tochter über die krausen Haare und küsste sie auf die Stirn.
Zurück auf der Straße, einer kleinen, ansteigenden Gasse in der Nähe von Pelourinho, dem schönsten Teil der Altstadt, schaltete Sarah Clarice ihr Handy an. Wieder las sie die Nachricht, die sie Sonntagabend, als sie von Juazeiro zurückgekehrt war, vorgefunden hatte.
Jetzt antwortete sie: › In Ordnung, ich tauche wieder auf. Morgen komme ich zu dir. Es könnte aber das letzte Mal sein. Okay? ‹
Sie drückte auf › senden ‹ .
Nach weniger als einer Minute kam die Antwort. Auf ihren Wangen erschien die
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