Durst: Thriller (German Edition)
Terminal umarmten sie sich.
Die Brüder hatten kein einziges Wort mehr gewechselt.
In Salvador ließ Sarah Clarice ihren Begleiter an einem kleinen, aber feinen Hotel in Barra heraus. Es lag auf ihrem Heimweg, und so waren sie noch ein Stück zusammen mit dem Taxi gefahren. Matheus versicherte ihr, dass sie die Ergebnisse in spätestens einer Woche habe. Sarah Clarice verzog das Gesicht. Sie hatte gehofft, dass es schneller ging. Matheus, der so fröhlich und entspannt wirkte wie das gesamte Wochenende nicht, machte ihre Hoffnungen jedoch zunichte. Die Tests würden teilweise mit Bakterienkulturen durchgeführt, erklärte er ihr, und das brauche eben seine Zeit. Was wolle sie eigentlich? Unangreifbare Ergebnisse oder irgendein Wischiwaschi? Ein bisschen Geduld würde sie schon aufbringen müssen.
Sie verabschiedeten sich per Handschlag.
Sarah Clarice schaltete ihr Handy an. Eine Nachricht von ihrer Mutter: › Alles in Ordnung? ‹ Darauf antwortete sie sofort. Eine zweite Nachricht war von ihrer Kollegin Joyce, mit der sie sich in letzter Zeit häufiger getroffen hatte: › Wo steckst du bloß? ‹ Nun, Joyce konnte sie auch später noch antworten.
Die dritte Nachricht bereitete ihr Bauchschmerzen. Sarah Clarice lehnte ihren Kopf gegen die Rückenlehne des Taxis und schloss die Augen. Dann öffnete sie die Augen wieder und las die Nachricht noch einmal, mit zusammengekniffenen Lippen: › Du irrst dich. Ich weiß, dass du das nicht gerne hörst, aber bitte glaub mir. Glaub mir einfach. Was haben wir schon außer unseren Ängsten? Möchtest du wirklich ohne sie leben? Ruf an. Tauch wieder auf! ‹
Drei Tage später, am Mittwoch gegen elf Uhr vormittags, schaute Matheus Braga von seinem Mikroskop auf und runzelte die Stirn.
Das ist doch nicht normal, dachte er. Ein paar Sekunden starrte er ins Leere, dann legte er das Auge wieder ans Okular. Er hatte bereits mit den mikrobiologischen Analysen begonnen, indem er verschiedene Nährmedien mit Wasserproben von je 100ml vermischt hatte. Auf dem langen Labortresen standen die Kästchen mit den Objektträgern. Manche Ergebnisse bekam man nach achtzehn oder vierundzwanzig Stunden, bei anderen dauerte es mindestens zweiundsechzig Stunden. Die Informationen reichten allerdings schon jetzt, um eine tiefe Falte zwischen seine Augen zu graben.
Es gab keine Spur von Nitriten in den Wasserproben und damit auch keine Indikatoren für Verwesungsprozesse organischer Substanzen, für Prozesse also, die in Gewässern, in denen ständig irgendwelche Fische starben, vollkommen natürlich waren. Darüber hinaus fand sich auch keine Spur von Phosphat und anderen chemischen Stoffen, die in Gegenden mit intensiver Bewässerungslandwirtschaft immer vorkamen. Die Wasseranalyse schien glauben zu machen, dass in ganz Brasilien niemand Dünger oder Pestizide benutzte, was wiederum so war, als würde man behaupten, niemand in Brasilien spreche Portugiesisch. Keine denkbare Reinigungsmaßnahme, nicht einmal eine, die ein hocheffizientes Filtersystem einsetzt, könnte solche Spuren auslöschen. Matheus war ratlos. Das Wasser war so rein, als käme es direkt aus einer Bergquelle gesprudelt.
Matheus rollte mit dem Stuhl vom Tresen weg und schaute zu der großen Glasscheibe hinüber, die das Labor von den anderen Räumen trennte. Draußen schien herrlich die Sonne, aber im Gebäude wurde das Licht zu glänzenden Schwaden pulverisiert. Matheus erinnerte sich, dass ihm bei der ersten Probeentnahme aufgefallen war, dass es in dem Fluss keine Algen gab. Die Abwesenheit von Phosphat wäre eine gute Erklärung dafür, aber bei einem Gewässer wie dem São Francisco war das nicht sehr wahrscheinlich. Und dann gab es noch etwas, das ihn irritierte: Okay, dieses Wasser enthielt zwar keinerlei Verschmutzungsspuren, aber es enthielt noch nicht einmal Spuren von einfachen mineralischen Salzen, wie sie im Trinkwasser vorkommen oder im Quellwasser, das irgendwann in der Flasche landet oder von glücklichen Wanderern getrunken wird.
Aus den Tiefen seines Gedächtnisses stiegen Erinnerungen an seine erste Vorlesung in Anorganischer Chemie auf. Wie immer hatte der Professor, statt ihnen eine mundgerechte Antwort zu servieren, seine Studenten mit einer Frage getriezt.
› Dann wollen wir mal hören ‹ , hatte er gesagt. › Wie würden Sie Wasser definieren? ‹
Zunächst hatte sich Schweigen über den Hörsaal gesenkt. Dann hatte jemand die Hand gehoben.
› Ja? ‹
› Eine Flüssigkeit? ‹
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