Durst: Thriller (German Edition)
die Wolken, Paulo? «
» Ehrlich gesagt, nein. «
» Wahrscheinlich schon. Nur dass Sie noch nie darauf geachtet haben. «
Dritter Teil
Heuschrecke
13
Matheus schlug die Augen erst auf, als die Sonne bereits sehr hoch stand. Einen Moment lang hatte er Schwierigkeiten, sich in Raum und Zeit zu orientieren. Er hatte nur wenige Stunden geschlafen, das aber tief und fest. Durch die offene Zimmertür konnte er seine Reisetasche auf dem Tischchen stehen sehen. Seine Kleidung hing unordentlich über dem Stuhl davor. An der Sohle seiner Schuhe, die falsch herum auf dem Boden lagen, klebte noch die rote Erde. Die Wohnung war ein einziges Chaos. Die Augen noch halb geschlossen, ging er in die Dusche und machte sich dann einen Kaffee. Er trank ihn in der Küche, weil es auf der Terrasse schon zu heiß dafür war. Die Nacht hatte er im Bus verbracht, eine lange Fahrt, die ständig an den Haltestellen irgendwelcher Städtchen im Landesinneren von Bahia unterbrochen worden war. Bei Sonnenaufgang war er in Ilhéus angekommen und dann gleich ins Bett gefallen.
Allmählich fiel ihm alles wieder ein.
Er toastete sich zwei Scheiben Brot und strich Butter und eine widerlich süße Guavenmarmelade darauf. Das Ganze kam ihm so unwirklich vor, und als ihn die Erinnerungen mit Macht wieder einholten, war das wie ein Schlag ins Gesicht. Zu seiner eigenen Überraschung verspürte er plötzlich den Impuls, Sarah Clarice anzurufen, um sich zu erkundigen, ob die Rückfahrt gut verlaufen war und ob es irgendwelche Neuigkeiten gab.
Ein Impuls, dem er nicht nachgab.
Vor allem musste er an die Uni zurück. Er hatte zwei Veranstaltungen, und er wollte sich die Analysen noch einmal anschauen, bevor er sie Sarah Clarice schickte.
Das Klingeln des Telefons ließ ihn hochschrecken. Es war Cássia, die wissen wollte, ob er zurückgekehrt sei und ob es ihm gut gehe.
» Das Ganze kommt mir so unwirklich vor, Matheus. «
» Mir auch. Es ist alles so absurd. «
» Was sagt denn die Polizei? «
Matheus schwieg einen Moment. » Was sollen die schon sagen? Nichts. Sie behaupten, dass er gefoltert wurde. «
» Was? « Matheus hörte, dass Cássias Stimme plötzlich tiefer klang, ängstlich. » Was heißt, gefoltert? «
» Gefoltert, Cássia. Gefoltert im wahrsten Sinne des Wortes. Man hat sich an seinem Körper vergangen… «
» Aber warum? «
» Wer weiß das schon? Ich habe keine Ahnung. Jetzt muss ich aber gehen. Ich habe eine Vorlesung. «
» Okay. Entschuldigung. «
» Wir telefonieren heute Abend, okay? «
» Sicher, Schatz. Und denk nicht zu viel nach. «
Matheus hatte sich die Frage noch nicht gestellt, auch wenn sie ihm die ganze Nacht im Gehirn herumgegangen war: Warum wird ein Mensch gefoltert?
Niemand tut so etwas ohne Grund. Das waren die Worte, die der Polizist von Sobradinho benutzt hatte. Systematische Folter. Wie hieß er noch gleich, dieser Polizist? Castro? Ja genau, Alessio Castro.
Was wollte er damit sagen?
Der Körper seines Bruders lag jetzt vielleicht auf einem Stahltisch in der Gerichtsmedizin von Juazeiro. Sandra hatte gesagt, dass ihr Anwalt die Ermittlungen genauestens verfolgen und alles tun würde, damit die Polizei die Täter so bald wie möglich schnappte. Sandra war eine Kämpfernatur, sie würde nicht so schnell aufgeben. Trotzdem war die Frage vollkommen offen: Warum wird ein Mensch gefoltert? Warum wurde Nelson gefoltert?
Niemand tut so etwas ohne Grund. Der Satz hallte wie ein Echo in seinem Schädel wider, aber das Bild dahinter ließ sich nicht greifen.
Matheus hielt den Kopf noch einmal unter kaltes Wasser, dann zog er sich schnell an und ging.
Bereits als er den Motor seiner Schrottlaube abstellte, hörte er, dass am Eingang zum Universitätsgebäude eine gewisse Aufregung herrschte. Matheus trat schnell ein und begab sich zum Institut für Agrarwissenschaften. Noch bevor er dort ankam, wurde er von seinem jungen Kollegen Júlio angesprochen, einem Biologieprofessor, mit dem er befreundet war.
» Bist du gerade gekommen? Du kannst dir gar nicht vorstellen, was hier los ist. «
» Was ist denn passiert? «
» Keiner weiß etwas Genaues. Die Polizei ist gerade eben erst gegangen. Es wurde wohl eingebrochen. Überall, wie es scheint. «
» Eingebrochen? «
Júlio kicherte nervös. » Noch hat niemand den Überblick, aber in verschiedenen Instituten wurden Türen und Fenster eingeschlagen. Selbst im Sekretariat. «
In diesem Moment stieß ein ziemlich aufgeregter Kollege aus der Pharmazie zu
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