Dustlands - Der Herzstein: Roman (German Edition)
rast. Ich huste. Meine Kleider und meine Haare sind triefnass. In meinen Stiefeln schwappt es bei jedem Schritt. Er ist barfuß, er leuchtet hell in der Nacht in seinem weißen Hemd und seiner weißen Hose. Auch er ist tropfnass. Früher hat er seine dichten schwarzen Haare lang getragen und zurückgebunden. Jetzt gehen sie ihm nur noch bis auf den Kragen.
Der Pfad ist uneben. Ich stolper, und Nero piepst empört. »Wie weit noch?«, frag ich.
»Wir sind da«, sagt DeMalo.
Ein einfaches Zelt zwischen den Bäumen. Keiner in der Nähe.
»Wo sind deine Männer?«, frag ich.
»Ich bin allein. Das ist mein Rückzugsort. Du bist hier völlig sicher.«
Ich zögere. Er hält mir die Zeltklappe auf. »Die Krähe ist verletzt«, sagt er.
Ich folge ihm ins Zelt.
I ch hör, wie er durchs Zelt geht. Ich kann ihn gerade eben erkennen, einen Umriss, dunkler als die Dunkelheit. Dann wird ein Feuerstein angeschlagen, und ein sanftes weißes Licht erhellt das Zelt.
Er stellt die Laterne auf einen Tisch. »Bring ihn her«, sagt er.
Von außen schlicht, von innen auch. Hoch genug, um zu stehen. Ein schmales Bett, ein Ofen, ein Stuhl, der Tisch, eine Holztruhe. Ein paar andere Sachen. Ein paar Bücher. Gut für einen. Ziemlich eng für zwei.
DeMalo gießt sauberes Wasser in eine Schüssel. Er bringt sie zum Tisch, dann geht er zur Truhe und holt eine Decke und eine kleine Blechdose raus. Er bewegt sich geräuschlos und geschmeidig. Er wirkt nicht, als ob er’s eilig hätte, aber irgendwie passiert alles schnell.
»Setz dich«, sagt er. Als ich mich auf den Stuhl setz, legt er mir die Decke um die Schultern. Ich drück Nero an mich, beruhig ihn. »So«, sagt er, öffnet die Dose und holt Sachen raus. »Zuerst säubern wir ihn und sehen ihn uns an.« Er gießt was ins Wasser und taucht ein sauberes Tuch rein. »Halt ihn ins Licht«, sagt er. Seine Stimme ist leise. Tief. Warm. Die paar Mal, die paar Worte, die ich ihn vorher hab sagen hören – in Hopetown, im Zellentrakt – haben mich verstört. Mich frösteln lassen. Jetzt nicht.
Irgendwie wirkt er nicht wie derselbe Mensch. Oder vielleicht liegt es an mir.
»Ich kann ihn versorgen«, sag ich.
»Dazu bist du jetzt nicht in der Lage.« Zuerst macht er Neros Kopf sauber. Ganz sanft.
Ich wag erst wieder zu atmen, als ich seh, wie schlimm es ist. »Nur ein Kratzer«, sag ich.
Er tupft ein bisschen Storchschnabelsalbe drauf. »Es ist die andere Wunde, die mir Sorgen macht«, sagt er. »Okay, Nero, tapferer Bursche.« Er fängt an, seine Brust sauber zu machen. Als das Wasser in der Schüssel rot wird, können wir die Wunde sehen. Ein Riss im Fleisch, zum Glück nicht in der Nähe vom Herz. »Er ist nicht tief«, sagt DeMalo. »Sieht aus, als hätte Culan ihn nur mit einer Kralle erwischt. Ich sehe keine Verletzungen an seinen Flügeln oder Muskeln. Es geht ihm gut.«
»Oh!« Zittrig stoß ich den angehaltenen Atem aus, halb klingt es wie ein Schluchzer, halb wie ein Lachen. Ich küss Nero auf den Kopf. »Hast du gehört? Es geht dir gut.«
»Er braucht ein paar Stiche. Kann er das aushalten?«
»Ja«, sag ich. »Bei mir bin ich mir da aber nicht so sicher. Ich kann nicht hingucken, wenn eine Nadel ins Fleisch sticht. Da bin ich schon ohnmächtig geworden.«
DeMalo lächelt mich kurz an. Ein echtes, richtiges Lächeln. Seine Augen leuchten auf, drum rum kräuseln sich Fältchen, seine geraden Zähne strahlen weiß. Er schüttelt den Kopf, während er eine dünne Knochennadel sauber macht. »Das ist komisch«, sagt er.
»Komisch?«
Er fädelt einen dünnen Darmfaden durch die winzige Öse. »Ich hab dich kämpfen gesehen«, sagt er. »An Mut fehlt es dir nicht gerade.«
»Tja, na ja«, sag ich. »Wir haben alle unsere Schwächen.«
Ein kurzer Blick in meine Richtung. »Würdest du sagen, es ist wichtig, dass wir unsere Schwächen überwinden?«
Betrogen. Getäuscht.
»Ja«, sag ich. Nero krächzt. »Kommt er wirklich wieder in Ordnung?«
»Ich verspreche es dir. Halt ihn still.« DeMalo bewegt die Hände langsam auf Nero zu. Der schnappt nach ihm, kämpft, verteidigt sich. Ich beruhig ihn, halt ihm den Schnabel zu. DeMalo fängt an, die Wunde zu nähen. Nero wehrt sich. Er schreit jämmerlich. Ich hab Tränen in den Augen. »Du tust ihm weh!«
»Es tut mir leid, das lässt sich nicht ändern. Versuch ihn stillzuhalten.«
»Beeil dich bloß!«
»Du bist ein mächtiger Krieger, Nero«, sagt er. »Eine Krähe mit dem Geist eines Adlers.« DeMalo arbeitet
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