Dustlands - Die Entführung
Lügnerin.
Saba!, brüllt er. Komm schon! Beeil dich!
H ier wird die Decke niedriger, sagt Jack. Pass auf deinen Kopf auf.
Die Fackel wirft gezackte Lichtfinger auf die rauen Steinwände vom Tunnel. Ich streck die Hand aus und taste nach der Decke. Ab und zu muss ich mich ducken, damit ich mir nicht den Kopf anstoß.
Der Tunnel kommt mir ewig lang vor. Als ich schon denk, er hört nie mehr auf, seh ich Licht. Das Licht wird immer heller, strömt zu uns rein in die Dunkelheit. Dann ist der Tunnel zu Ende, und wir gehen raus ins goldene Licht vom Mittsommernachmittag.
Sie warten schon auf uns. Emmi, Tommo, Ike, Ash und Epona. Hermes steht ein bisschen abseits und rupft Grasbüschel aus. Er hebt den Kopf, sieht mich und wiehert.
Warum habt ihr so lange gebraucht?, fragt Emmi. Wir sind schon ewig hier.
Ike, Ash und Epona gucken sich an und grinsen. Dann gucken sie mich und Jack an.
Ziemlich dunkel da drin, sagt Ash. Habt ihr euch verlaufen?
Ich spür, wie es mir heiß den Nacken hochkriecht, wie ich rot werd. Zum Glück kommt Hermes angetrottet, und ich kann seinen Hals streicheln.
Wir … ähm … haben länger gebraucht, als wir gedacht haben, bis wir das Feuer aushatten, sagt Jack.
Saba, sagt Emmi. Komm gucken! Sie nimmt mich an die Hand und zerrt mich zum Rand von dem Bergrücken, auf dem wir stehen.
Der Grat zieht sich rund ums Tal, wie der Rand von einer Schüssel. Er ist mit dichten Eichenwäldchen und hohen Kiefern bewachsen. Vor uns liegt ein breites flaches Tal. Überall wachsen Reihen von niedrigen Büschen mit glänzenden dunkelgrünen Blättern. Jede Menge Arbeiter in weißen Kitteln bewegen sich zwischen den Reihen, bücken sich, pflücken Blätter von den Büschen ab und stecken sie in Säcke auf ihren Rücken. Sklaven.
Helen ist mal eine von denen gewesen. Und Jack und Ike auch.
Was für ein fruchtbares Land. Üppig und wunderschön. Wie Pa uns erzählt hat, dass es früher in der Abwrackerzeit gewesen ist. Paradies hat er das genannt. Als die Luft geduftet hat und die Erde fruchtbar gewesen ist. Als sie so viel angebaut haben, dass sie es zu Bergen aufgehäuft haben. Und wenn jemand was gebraucht hat, ist er einfach mit dem Eimer hin und hat ihn voll gemacht.
Aber das da ist nicht das Paradies.
Da ist es, sagt Ike. Freedom Fields.
Ash zeigt übers Tal. Am anderen Ende schimmert eine Mauer aus Regenbogenlicht.
Und das, sagt sie, ist der Palast vom König.
J ack drückt mir was in die Hand. Hier, sagt er.
Es ist die Hälfte vom Weitgucker, den Emmi da in der Abwrackerstadt kaputt gemacht hat.
Jack hat ihn in Ordnung gebracht!, sagt sie. Genau wie er gesagt hat.
Ich halt ihn mir ans Auge.
Vorsicht!, sagt sie. Es ist schrecklich hell.
Genau gegenüber von uns steht am anderen Ende vom Tal auf halber Höhe zwischen Talboden und Grat ein großes Haus, das größte, das ich je gesehen habe. Die Mauern von diesem Haus sind ganz mit Schimmerscheiben bedeckt. Wenn die Sonne draufscheint, werfen sie Regenbögen aus Licht. Rot, gelb, rosa, grün, lila. Die Farben schießen da raus wie Sternschnuppen, sie funkeln und tanzen so hell, dass ich schwarze Punkte vor Augen hab.
O mein Gott, das ist ja unglaublich!, sag ich. So was hab ich noch nie gesehen.
Bestimmt halten sie Lugh da drin fest, unter Bewachung, sagt Jack. Was meinst du, Ike?
Ja, sagt Ike. Und sie passen bestimmt gut auf ihn auf, nachdem sie so einen Aufwand betrieben haben, um ihn zu kriegen.
Meinst du wirklich?, frag ich.
Da kannst du Gift drauf nehmen, sagt Ike.
Der Palast. Ich kneif die Augen zusammen und guck nur aus dem Augenwinkel hin. Jetzt kann ich erkennen, dass er viele Fenster hat. Hohe Pfeiler säumen die Vorderseite. Das Haus hat zwei massive Eingangstüren aus gehämmertem Kupfer. Eine breite Treppe führt runter zu einem Pfad aus weißem Schotter. Er schlängelt sich durch einen Garten runter zu den Feldern. Ich muss an Ma mit ihrem Steingarten am Silverlake denken. Bestimmt hätt sie nicht mal im Traum gedacht, dass es einen Garten wie den hier geben könnt.
In dem Garten gibt es ein großes Steinbecken, aus dem Wasserstrahlen zum Himmel hochschießen. Und Blumen- und Gemüsebeete in komischen Mustern und eine Wiese mit Obstbäumen.
Überall wimmelt es von Leuten. Hauptsächlich Tonton in ihren langen schwarzen Gewändern und der Rüstung. Aber auch ein paar Sklaven in weißen Kitteln.
Siehst du die Ställe?, fragt Ike. Ganz rechts?
Ich richte den Weitgucker auf die niedrigen Stallungen neben dem
Weitere Kostenlose Bücher