Dylan & Gray
Mountain«, sagt er. Ich nicke und drehe die Musik noch ein bisschen lauter. Wir schauen in die beginnende Dämmerung hinaus. Arizona ist berühmt für seine Sonnenuntergänge. Wenn die Nacht hereinbricht, hat die Wüste ihren großen Auftritt. Sie schmückt sich mit einer Federboa aus Wolken und über ihren unendlichen Horizont flammt eine Lightshow in Neonfarben, die sich über Hunderte von Meilen erstreckt. Heute senken sich Bänder aus schimmerndem Pink und Orange auf die flachen violetten Hügel in der Ferne. Der Anblick ist pure Magie.
Wir fahren in einer gewundenen Linie den Camelback Mountain hinauf und ich stoppe überrascht auf dem Seitenstreifen, als plötzlich eine Reihe riesiger Villengebäude in Sicht kommt, die in die Steilhänge hineingebaut sind. Wir steigen aus und gehen zu Fuß weiter, um uns diese monströsen Konstruktionen auf hektargroßen Grundstücken näher anzusehen. Heißer Wind schlägt uns entgegen, als würde in der Ferne eine Feuersbrunst lodern. Wir starren an den Wänden einer Villa hinauf, die wie eine kleine Burg aussieht, komplett mit mittelalterlichen Türmen und Dachzinnen. Während wir die Straße entlanggehen, denken wir uns Geschichten über die Menschen aus, die in diesen Häusern leben. Gray sagt, vermutlich leben hier nur Anwälte und Ärzte. In meiner Fantasie sind die Gebäude voller verrückter Wissenschaftler, die ausgestorbene Tierarten klonen, oder in ihnen verbergen sich Kung-Fu-Meister im Dienste des CIA , bei denen Geheimagenten die Kunst des waffenlosen Kampfes lernen. Vielleicht bauen dort drinnen Weltraumingenieure eine Armee gigantischer Roboter, um die Erde gegen Angriffe von Marsmenschen zu verteidigen. Ich erzähle Gray, in welcher Villa sich ein Elite-Internat für Promikinder befindet und in welcher die Entziehungsklinik für ihre Promieltern.
Unser Spaziergang endet an einem Baugelände, wo gerade eine weitere Villa im Entstehen ist. Der Boden ist platt gewalzt und das Betonfundament bereits fertig gegossen. Wir wandern auf der Zementfläche herum und entwerfen das passende Haus dazu. In die linke Ecke kommt das Badezimmer, die Küche hat eine Fensterfront nach Nordwesten. Ich schreite das Wohnzimmer ab und bestimme, wo der Kamin mit den plüschigen Ohrensesseln hingehört. Gray findet, dass wir einen Raumteiler und eine Sitzgruppe mit verstellbaren Rückenlehnen brauchen.
»In Plüschsesseln kann man nicht richtig Sport gucken«, behauptet er. Ich informiere ihn, dass es in unserem Haus keinen Fernseher geben wird, woraufhin eine hitzige Debatte beginnt, die sich nur mit einem Kompromiss beilegen lässt. Es wird einen Fernseher geben. Aber im Keller. In einem Raum mit Surround-Lautsprechern. Und einem Pokertisch.
Wir beschließen, dass wir eine zweite Etage mit mehreren Schlafzimmern brauchen und außerdem einen Dachboden, um dort ein Abenteuer-Westernfort zu bauen. Ein vernünftiges Haus braucht unbedingt Platz für ein Westernfort. Ich mache den Vorschlag, den Speisesalon für unsere Abendeinladungen ans hintere Hausende zu verlegen, von wo aus man den besten Blick auf die Stadt hat, die sich wie eine leuchtende Galaxie Hunderte von Metern unter uns ausbreitet.
Wir setzen uns auf den Rand des Betonfundaments und stellen uns vor, wie unser fertiges Haus aussehen wird. Ich frage Gray, wo er leben würde, wenn er sich jeden Ort der Welt aussuchen könnte.
»Neuseeland«, sagt er. »Auf der Nordinsel.« Er erzählt mir, dass sein Dad Bildbände mit Reisefotografie sammelt, die immer haufenweise auf dem Wohnzimmertisch liegen. In einem davon hat Gray den perfekten Platz entdeckt. Am nördlichsten Ende zersplittert das Festland in viele kleine Inseln, die zusammen die »Bay of Islands« formen. Inmitten dieses Schärengartens würde er sich ein weißes Strandhaus bauen. Die großen Fenster zeigen aufs Meer hinaus und er kann jeden Abend draußen auf der Veranda schlafen. Er hat mehrere Kajaks und ein Motorboot, um zum Para-Sailing rauszufahren. Außerdem wollte er sich schon immer das Segeln beibringen.
Ich sehe zu, wie sein Gesicht sich verändert, während er spricht. Hoffnung zeichnet sich darauf ab, als würde er zum ersten Mal in die Zukunft blicken und sich vorstellen, dass ihn ein Paradies erwartet. Optimismus ist ein ganz neuer Look für Gray.
Gray
Ich versuche mich auf das Lichtermeer der Stadt zu konzentrieren, aber mein Blick wandert immer wieder zu dem Riss in Dylans Jeans, durch den ihr nacktes Knie herausschaut. Die Versuchung, mit der
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