Dylan & Gray
muskulösen Park-Rangern verbringt.
Wir sprechen noch ein bisschen von unseren Erlebnissen im Sommer und dann will Dylans Mom jedes Detail über meine Uni wissen. Meine eigene Mutter hat mich längst nicht so gelöchert. Ich frage, wann Dylan mit ihrem Job in Shasta City anfangen will. Sie kann ja nicht ewig planlos herumreisen. Oder vielleicht gefällt mir der Gedanke einfach nicht, dass sie frei wie ein Vogel in der Gegend herumschwirrt. Gut möglich, dass ich mir aus reiner Selbstsucht wünsche, Dylan wäre irgendwo fest angebunden. Dann wüsste ich immer, wo ich sie finden kann.
»Ich glaube, sie wollte sich bis nächste Woche damit Zeit lassen«, sagt Dylans Mom. »Ihre Tante hat ihr ein Heidengeld bezahlt, nur damit sie den ganzen Sommer am Pool herumsitzt und ein paar Fotos schießt.«
»Dylan hat ihr auch bei ein paar Renovierarbeiten geholfen«, verteidige ich Dylan.
»Na, davon höre ich zum ersten Mal. Ich weiß nur, dass Tante Dan sie bezahlt hat, um das ›Haus zu hüten‹, in einem Himmelbett zu schlafen und die Putzfrau zu unterhalten. Zweitausend Dollar für nichts. Wie soll Dylan da lernen, vernünftig mit Geld umzugehen? Mit Charme allein kommt man im Leben nicht weit. Man muss auch bereit sein, hart zu arbeiten.«
Zweitausend Dollar sind wirklich ein ziemlich großzügiges Taschengeld. Dylan hat nie erwähnt, welche Summe ihre Tante ihr zugesteckt hat.
»Damit dürfte sie eine Weile auskommen«, sage ich.
Ich kann das Kopfschütteln am anderen Ende regelrecht hören. »Das sollte man denken, aber Dylan hat das meiste davon an das Tierheim hier um die Ecke verschenkt. Geld fließt ihr einfach durch die Finger.« Sie bittet mich, einen Moment dranzubleiben, verschwindet in die Küche und kommt mit der Nachricht zurück, dass ihr Essen anbrennt und sie auflegen muss. Aber sie hat sich sehr gefreut, mit mir zu reden.
»Du kannst jederzeit wieder anrufen«, sagt sie.
Ich gerate in Panik.
»Nein, Moment«, sage ich. »Können Sie Dylan meine Nummer geben, wenn sie sich das nächste Mal meldet?« Ihre Mom hat nichts dagegen und ich diktiere ihr meine Handy- und meine Festnetznummer. Um sicherzugehen, dass kein Zahlendreher dabei ist, liest sie alles noch einmal vor.
»Bitte, sagen Sie ihr, dass ich mich über einen Anruf wirklich freuen würde.«
»Ach Gray, wir würden uns alle freuen, von ihr zu hören. Da bist du wirklich nicht der einzige.«
Als ich auflege, bin ich im siebten Himmel, weil ich einen kurzen Moment Dylans Leben berühren durfte und mich an das Gefühl erinnere, mit ihr auf Wolken zu schweben. Dann lande ich wieder auf dem Boden der Tatsachen, zwischen den Wänden meines Zimmers in New Mexico … Und mein Leben hier ist schön und aufregend. Nur vergesse ich das leicht. Ich muss mich bewusst daran erinnern. Sonst beginne ich mich nämlich zu fragen, ob ich als Dylans Groupie nicht glücklicher wäre. Ich könnte ihr einfach ständig hinterherreisen. Darf man sein Leben nur um eine Person kreisen lassen?
Dylan
Ich sitze auf einem staubigen Parkplatz in Nordkalifornien, irgendwo im Nirgendwo, und fühle mich seltsam zu Hause. Mein Vagabundenleben, dieses schwerelose Treiben von einem Ort zum anderen, gefällt mir. Ich könnte nicht glücklicher sein, denn ich bin frei. Endlich befinde ich mich auf der nächsten Etappe meiner Reise, um neue Plätze und Menschen zu entdecken und die wundersame Leere in meinem Inneren zu füllen, die immer größer wird, je länger ich an einem Ort bleibe. Alles Gewohnte und Bekannte habe ich bis zur Neige ausgekostet und nun will ich mein Leben wie einen leer getrunkenen Becher mit neuen Erfahrungen füllen. Meine Zukunft schillert wie ein flüssiger Regenbogen, der bei jeder Berührung seine Farbe ändert. Ich will meine eigene Welt erschaffen, indem ich alles hinter mir lasse, was ich kenne.
Im Moment hocke ich neben meinem Wagen auf dem Bordstein und trinke Tankstellenkaffee (der nur schmeckt, wenn man auf Reisen ist). Die karge Landschaft passt zu mir. Man hat mir andere Reiseziele empfohlen: San Francisco, Carmel und die Weinberge rund ums Napa Valley. Aber ich will keine aufpolierte Hochglanzatmosphäre. Viel faszinierender finde ich die einsamen Hochebenen mit ihren verkrüppelten Büschen und Bäumen, die zäh ums Überleben kämpfen. Die Menschen hier wirken ähnlich unverwüstlich. Alle sind es gewohnt, hart anzupacken, um in der harschen Umgebung zurechtzukommen. In der Ferne sieht man den Mount Shasta durch die Wolken stoßen. Er
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