Éanna - Ein neuer Anfang
Arbeitstag, wo man sich nicht den Launen und Zicken irgendeiner Herrschaft unterwerfen muss, um sechs oder sieben Feierabend hat und dann nach Hause gehen kann!«
»Zuckerschlecken ist Fabrikarbeit aber auch nicht«, warf Emily warnend ein. »Davon können Éanna und ich ein Lied singen.«
»Und wennschon! Geschenkt wird einem der Lohn nirgendwo. Aber man gibt nicht gleich seine Freiheit auf und steht auch nicht unter der ständigen Beobachtung und Bevormundung anderer Leute, die sich für klüger, gebildeter und wichtiger halten!«
»Also gut, dann schauen wir uns morgen erst einmal nach Arbeit in einer Fabrik um«, versprach Éanna. »Wenn das zu nichts führt, können wir es ja immer noch als Dienstmädchen versuchen.«
Brendans Gesicht hellte sich augenblicklich auf. »Éanna, glaub mir«, sagte er und griff nach ihrer Hand. »Du wirst das schaffen. Du kannst alles schaffen, was du willst!«
Fünftes Kapitel
Er kniff die Augen zusammen. Das Licht an Deck war seltsam, Nebelschwaden verhüllten die Sicht auf das Ufer, doch er achtete nicht darauf. Er hatte nur Augen für sie.
Sie stand an der Reling und sah ihn an. Einfach so. Endlich hatte er die richtigen Worte gefunden, um ihr seine tiefen, aufrichtigen Gefühle zu gestehen. Und diesmal hatte sie kein ärgerliches, kein erschrockenes, kein distanziertes Gesicht gemacht, sondern ihn einfach nur wortlos angesehen. Und in ihren Augen konnte er lesen, dass sie sich tief in ihrem Innersten nicht weniger wünschte, mit ihm zusammen zu sein, als er selbst. Auch wenn diese Verbindung mit allen gesellschaftlichen Regeln und Vorschriften brach.
Zärtlich nahm er ihr Gesicht in beide Hände und berührte mit seinen Lippen leicht die ihren. Ihm war, als erzitterte sie leicht unter dem Kuss, der süßer und köstlicher schmeckte als alles, was jemals seine Lippen berührt hatte. Sein Herz jagte vor Glück, als er von diesem herrlich berauschenden Schwindel erfasst wurde, der nicht enden wollte, ja, der niemals enden würde, jetzt, wo sie bei ihm war.
Doch plötzlich wich Éanna vor ihm zurück, entzog sich seinen Lippen, löste sich aus seiner Umarmung. Ihr Gesicht nahm schnell eine durchscheinende Blässe an, als wäre es nur auf dünnes Seidentuch gemalt und nichts weiter als eine Illusion.
»Nein! Nicht! Bitte geh nicht!«, schrie er gequält und streckte die Hände nach ihr aus, um sie festzuhalten und wieder an sich zu ziehen. Doch da war es schon zu spät – wo sie gerade noch gestanden hatte, war plötzlich nichts als dieser schreckliche Nebel, der jetzt auf ihn zukam und ihn einhüllte und ihm die Luft zum Atmen nahm.
Patrick erwachte von seinem eigenen Schrei und fuhr jäh im Bett auf. Er brauchte einen langen Moment, um zu begreifen, dass er sich nicht in seinem Schreibrefugium in Dublin, sondern in dem kleinen Zimmer im Shakespeare Hotel in New York befand – und dass der innige Kuss mit Éanna wieder einmal nichts weiter gewesen war als ein schöner Traum, die Erinnerung an einen unvergleichlichen Moment aus der Vergangenheit.
Mit einem gequälten Laut ließ Patrick sich zurück in die weichen Kissen fallen und starrte niedergeschlagen zur stuckverzierten Decke hinauf. Warum nur hatte es bei diesem einen Kuss bleiben müssen? Hätte das Schicksal es nicht anders für ihn richten können? Und warum hatte er sich nur dazu hinreißen lassen, auf der Boston Glory dafür zu sorgen, dass Brendan sich mit Éanna versöhnte? Er hätte stattdessen einfach nur abwarten und den Dingen ihren Lauf lassen müssen und der Weg zu ihrem Herzen wäre für ihn frei gewesen, da war er sich ziemlich sicher. Niemand hätte ihm daraus einen Vorwurf machen können. Und wenn man es recht betrachtete, hatte dieser Hitzkopf Brendan in Irland genug Chancen gehabt, sich Éannas Liebe als würdig zu erweisen.
Aber nein, er hatte wieder einmal ehrenhaft und uneigennützig sein müssen und nobel Verzicht geübt, genau wie diese einfältigen und weltfremden Figuren in billigen Sixpence-Romanzen. Was für ein ausgemachter Dummkopf und Träumer er doch war!
Aber wer konnte schon aus seiner Haut heraus? Er liebte Éanna nun einmal von ganzem Herzen und hatte auf der Überfahrt nicht länger mit ansehen können, wie sehr sie litt. Nie hätte er es sich verziehen, tatenlos zuzusehen, wie sie immer trauriger und besorgter wurde. Nein, er hatte Brendan damals einfach den Kopf zurechtrücken und ihm sagen müssen, wie es sich wirklich zwischen Éanna und ihm in Dublin verhalten hatte.
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