Éanna - Ein neuer Anfang
Auch wenn er noch immer der Meinung war, dass Brendan eine solch außergewöhnliche Frau wie Éanna eigentlich nicht verdiente.
Patrick blieb noch eine ganze Weile im Bett liegen, obwohl der helle Sonnenschein hinter den Gardinen ihm verriet, dass es bereits acht Uhr oder sogar noch später sein musste. Und er fragte sich, wo Éanna jetzt gerade war, wo sie mit Emily und ihrem Brendan wohl Unterkunft gefunden hatte und ob sie Verbindung zu ihm aufnehmen würde. Er wünschte es sich sehnlicher als alles andere, ja sogar sehnlicher, als er die Veröffentlichung seines Manuskriptes hier in Amerika erhoffte, das in Dublin kein Verleger hatte lesen wollen.
Doch je länger er darüber nachdachte, desto stärker bezweifelte er, dass Éanna sein Angebot annehmen und Kontakt mit ihm aufnehmen würde, wenn sie in Not geriet. Er wusste zu gut, wie stolz sie war und wie verbissen sie darum kämpfen würde, Probleme aus eigener Kraft zu bewältigen, welch bittere und schwere Hürden sie dafür auch überwinden musste.
Dennoch wollte er die Buchhandlung wie versprochen aufsuchen. Denn auch wenn es sehr unwahrscheinlich war, so bestand ja doch noch die Hoffnung, dass er sich irrte. Und er würde es sich nie verzeihen können, wenn sie sich verpassten.
Aber auch andere Dinge von großer Wichtigkeit galt es, an diesem Tag in Angriff zu nehmen: Zum einen brauchte er Geld. Zwar war seine Börse noch recht gut gefüllt, aber Patrick erwarteten doch in den nächsten Tage einige Ausgaben, auf die er vorbereitet sein wollte.
Beim Untergang der Metoka hatte er seine ganze Garderobe verloren und anschließend von Glück reden können, dass ihm einer der wohlhabenden Kajütenpassagiere auf der Boston Glory großzügigerweise einen seiner Anzüge samt Hemd, Weste und Krawatte verkauft hatte. Und dann wollte er auch noch ein paar Journale und Schreibutensilien erstehen, damit er gleich damit beginnen konnte, ausführlich Tagebuch zu führen, um Eindrücke und Ideen für weitere Bücher zu sammeln.
Seufzend setzte er sich in seinem Bett auf und sah sich um. Auch nach einer anderen, weniger teuren Bleibe musste er sich umsehen. Denn es wäre purer Leichtsinn, längere Zeit in diesem Hotel zu logieren, das ihm zwar viele Annehmlichkeiten bot, ihn aber immerhin die stolze Summe von viereinhalb Dollar pro Woche für ein hübsches kleines Eckzimmer mit angeschlossener Waschkabine kostete.
Er wusste nicht, wie sein Manuskript in New York aufgenommen würde und ob er, falls sich tatsächlich ein Verleger dafür fände, mit einem Vorschuss rechnen durfte. Wahrscheinlich konnte es daher auch nicht schaden, wenn er sich nicht nur nach Verlagen, sondern auch nach einer vorübergehenden Brotarbeit umsah, die ihn so lange über Wasser hielt, bis er vom Schreiben leben konnte. Allzu schwer sollte es für ihn ja nicht sein, in einem Kontor, einer Bank oder einer anderen Firma unterzukommen, notfalls durfte es sogar eine Brauerei sein. Immerhin hatte er eine gute Ausbildung vorzuweisen und verstand dank Onkel Edmund einiges von Buchhaltung und anderen geschäftlichen Dingen.
»Wenigstens für etwas war die elendige Arbeit im Biergeschäft also doch gut«, murmelte er und streckte sich. »Also dann, carpe diem, Patrick O’Brien! Mal sehen, was der heutige Tag zu bieten hat!« Schwungvoll warf er die leichte Daunendecke zurück und sprang aus dem Bett, um sich zu waschen, sich anzukleiden und dann hinunter in den Speisesaal zu gehen.
Eine gute Stunde später hielt ihm der Hotelportier den Schlag einer Mietdroschke auf und Patrick nannte dem livrierten Kutscher auf dem Bock die Adresse von Charles Templetons Buchhandlung, bevor er einstieg und sich in die Polster der Rückbank fallen ließ.
Die Kutsche ratterte durch den dichten Verkehr der Elm Street und gelangte nach einem kurzen Stück über die Canal Street bald auf den breiten, mehrere Meilen langen Broadway, der die Stadt in nordsüdlicher Richtung durchschnitt und zumindest für den Landverkehr die zentrale Lebensader New Yorks darstellte.
Diese bunt bevölkerte Prachtstraße mit ihren ausladenden Gehsteigen und akkurat angepflanzten Bäumen beeindruckte ihn zutiefst: Zunächst zogen alte hochherrschaftliche Villen und neue imposante Häuserfassaden zu beiden Seiten der Kutsche vorbei, dann eine Vielzahl exquisiter Geschäfte, deren Schaufenster die edelsten und teuersten Waren aus aller Welt präsentierten, später die eleganten Gentlemen’s Clubs und die kleineren Theater, Juwelierläden,
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