Éanna - Ein neuer Anfang
beschwor er sie, packte ihr Handgelenk und zog sie neben sich auf einen Schemel. Dann fuhr er hastig und mit gedämpfter Stimme fort: »Mein Gott, versteh mich doch. Ich war einfach so sauer, dass es mit dem Job beim Granitschiff doch nicht geklappt hat. Und dann ist mir irgendwie zu Ohren gekommen, dass im Sawdust House auf der Bowery am frühen Abend diese Boxkämpfe beginnen, wo man sich zumindest einen Dollar verdienen kann, wenn man gegen die Boxer antritt, die der Wirt für sich in den Ring schickt. Da hat es mich einfach in den Fingern gejuckt und ich habe es eben gemacht! Ich konnte nicht anders. Und es ist doch alles glimpflich abgelaufen, mein Schatz!« Bittend sah er Éanna an.
Doch so leicht wollte sie es ihm nicht machen, dazu war sie zu schockiert über sein Verhalten. »Brendan, verstehst du denn nicht?«, fragte sie verzweifelt.
»Aber wir brauchen das Geld!«, beharrte er. »Und mein Gesicht verheilt schon wieder.«
Éanna funkelte ihn an, sodass er hastig hinzufügte. »Ich habe ja auch gar nicht vor, aus dem Boxen eine Dauerbeschäftigung zu machen.«
Sie schüttelte den Kopf. »Du verstehst es wirklich nicht«, sagte sie ruhig. »Weißt du denn nicht, was du mir damit antust?« Sie blickte ihm in die Augen. »Weißt du denn gar nicht, dass ich es nicht ertragen würde, dich zu verlieren, du dummer Kerl?« Sie merkte, wie ihre Stimme bei den letzten Worten anfing zu zittern.
Brendan war blass wie Kalk geworden und er schluckte nun mehrmals, als säße ihm etwas in der Kehle. »Ist ja schon gut, Éanna«, murmelte er bedrückt und sah dabei aus wie ein begossener Hund. »Ich verspreche es dir. Ich höre auf damit. Das war das letzte Mal.«
»Heiliges Ehrenwort bei den Seelen deiner toten Eltern und Geschwister?«, fragte sie ihn ernst.
Er blickte auf, schaute ihr fest in die Augen und nickte dann. »Ja, ich schwöre es bei den Seelen meiner toten Eltern und Geschwister.«
Éanna nickte und war froh, dass die Wirtin die ersten Töpfe mit dampfendem Stew aus der Küche brachte und für Ablenkung sorgte. Sie hätte in diesem Moment nicht sprechen können.
Ihr Blick hielt noch den von Brendan gefangen, als Tom Mahony die Schankstube betrat. Er sah verändert aus, was daran lag, dass er anstelle seines alten fadenscheinigen Hemdes und der Flickenjoppe offenbar nagelneue Kleider trug. Kaum hatte er Brendan entdeckt, da eilte er auch schon zu ihrem Tisch und rief spöttisch: »Mann, wie siehst du denn aus? Bist du vielleicht auf der Death Avenue unter die Räder gekommen oder in Five Points von einer Bande aufgemischt worden?«
»Ähm … das erzähl ich dir später mal«, winkte Brendan schnell ab und bemühte sich hastig, Toms Aufmerksamkeit von sich abzulenken: »Aber du siehst heute auch ganz schön anders aus. Wo hast du denn all die guten Kleider her? Hast du etwa jemandem in einer dunklen Gasse eins über die Rübe gezogen und ihm die Sachen abgenommen?«, witzelte er eine Spur zu munter.
Unaufgefordert und mit einem breiten Grinsen setzte sich Tom Mahony zu ihnen. Er genoss ihre Aufmerksamkeit sichtlich. »Von wegen! Alles ehrlich erworben, Freunde! Denn seit heute arbeitet euer geschätzter Freund Tommy Mahony für Tammany Hall und geht Stimmen kaufen!«, verkündete er großspurig.
Brendan runzelte die Stirn. »Was ist Tammany Hall?«
»Und was meinst du mit Stimmen kaufen?«, fügte Emily hinzu. »Stimmen für wen oder was?«
»Also das ist so«, begann Tom Mahony langsam, stützte die Ellenbogen auf den Tisch und beugte sich verschwörerisch vor. »Tammany Hall ist das Hauptquartier der Demokraten hier in New York im sechsten Bezirk, zu dem unter anderem auch Five Points gehört. Und die Demokraten liegen sich bei den Wahlen und auch sonst ständig mit den Anhängern der republikanischen Partei in den Haaren. Zu denen gehören die ganzen reichen Pinkel, also Banker, Händler, Fabrikbesitzer und all die anderen feinen Herrschaften, die hier wie die Maden im Speck leben, immer mehr Kohle anhäufen und uns einfache Leute dabei bis aufs Blut ausbeuten.«
»Mann, du redest ja schon wie einer dieser radikalen Umstürzler in unserer Heimat!«, entfuhr es Brendan.
Tom Mahony wehrte ab: »Nee, so einer muss man in Amerika zum Glück nicht sein, um ganz oben mitreden zu können, na ja, eben da, wo die Gesetze gemacht werden. Hier geht alles fein demokratisch zu, ganz anders als in Irland. Gewählt wird am Wahltag an der Urne. Da machst du einfach dein Kreuzchen und bestimmst so mit, wer
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