Éanna - Ein neuer Anfang
Brendan? Ein eigenes Stück Land?«, insistierte Éanna mit strahlenden Augen.
»Na ja, eine verlockende Vorstellung ist es schon«, räumte er ein. »Aber das ist etwas, was bestenfalls in ferner Zukunft liegt, Éanna, sogar wenn wir beide immer eine gute Arbeitsstelle haben. Klammere dich nicht zu sehr an dieser Idee fest, so schön sie auch ist. Und so übel ist es doch hier in New York auch wieder nicht. Bestimmt können wir uns schon bald eine bessere Wohnung in einem anderen Viertel leisten. Und mit etwas Glück und harter Arbeit bringe ich es in ein paar Jahren in der Gießerei zu einem der Kolonnenführer. Das ist dann doch auch schon einmal etwas, das sich sehen lassen kann.«
»Sicher«, stimmte Éanna ihm zu und ergänzte dann hartnäckig: »Aber es ist doch nichts im Vergleich zu einem Stück eigenen Lands mit einem kleinen Hof und etwas Vieh darauf.« Sie dachte gar nicht daran, von ihrem Vorsatz abzurücken, egal, wie lange es dauern würde, ihn zu verwirklichen! Mochten Brendan und Emily sie ruhig für verrückt, unrealistisch und verträumt halten, sie wusste, dass ihr Traum eines Tages Wirklichkeit werden würde. Sie würde Brendan schon noch davon überzeugen, dass dies das Ziel ihrer gemeinsamen Zukunft war, für das sich jede Anstrengung und Entbehrung lohnte. Schließlich war sie ein irisches Landmädchen und die Erde mit all ihren Wundern lag ihr im Blut. Und wenn dieser Traum nicht hier in Amerika, im Land der unbegrenzten Möglichkeiten, wahr werden konnte, wo dann?
So sicher wie sie auf der Boston Glory gewusst hatte, dass sie die Neue Welt erreichen würden, so sicher war sie sich nun, dass auch der Tag kommen würde, an dem sie über ihren eigenen Ackerboden schreiten und die Erde mit dem Pflug aufbrechen konnte. Und wenn bis zu diesem Tag ein ganzes Jahrzehnt oder mehr vergehen müsste, sie würde es schaffen, schließlich war sie eine Sullivan!
Fünfzehntes Kapitel
Es wurde eine bitterharte Woche für Éanna und Emily. Auch wenn sie von Tag zu Tag mehr Sicherheit gewannen und immer seltener einen Fehler beheben mussten, saßen sie doch an vielen Abenden bis weit nach Mitternacht im Licht der Öllampe über ihre Näharbeiten gebeugt, um den Termin einzuhalten und die dreißig Hemden rechtzeitig in der Manufaktur von Mister Kerrigan abgeben zu können. Doch als der Montagmorgen dann anbrach, hatten Ehrgeiz und Angst über ihre Müdigkeit und die schmerzenden Hände gesiegt: Alle dreißig Hemden waren fertig. Voller Stolz machten sie sich in Begleitung von Kate O’Hara, die sich mit ihnen freute, in die William Street auf.
Doch an diesem Tag hatten sie weniger Glück als beim ersten Mal. Statt Chester Kerrigan empfing sie seine Frau Margaret in der Fabrik und zeigte sich den beiden Anfängerinnen sofort von ihrer unangenehmsten Seite: Verdrossen begutachtete die dickleibige Frau, der schwarzer Bartflaum über der Oberlippe und am Kinn spross, jedes einzelne Hemd. Mit ihren dicken, kurzen Fingern prüfte sie die Nähte und den Sitz aller Knöpfe, wobei sie unablässig ein schnaufendes Geräusch von sich gab und den Mund verzog, als könne sie nicht glauben, wie man es wagte, ihr solch stümperhafte Arbeit vorzulegen.
Aber sosehr sie auch nach einer nicht exakten und nicht sauber gearbeiteten Naht suchte, sie konnte keine finden. Es widerstrebte ihr jedoch ganz offensichtlich, Éanna und Emily den vollen Lohn auszuzahlen – noch dazu in der Probewoche!
Und so fand sie schließlich auch, was sie suchte. »Was ist denn das hier?« Mit einem grimmigen Schnaufen zerrte Missis Kerrigan an einem Ärmelknopf. »Der sitzt ja überhaupt nicht richtig fest! Ihr habt wohl geglaubt, das merke ich nicht, was?«
»Aber das kann gar nicht …«, protestierte Emily unwillkürlich. Sie war mit Éanna in der Nacht noch einmal jeden einzelnen Knopf durchgegangen, um ganz sicherzugehen, dass nicht ein einziger davon locker saß. Doch als Kate O’Hara sie verstohlen mit ihrem Ellbogen anstieß und ihr einen warnenden Blick zuwarf, schwieg sie sofort.
»Was ist?«, zischte Margaret Kerrigan aggressiv und stemmte ihre kurzen Arme drohend in die beleibten Hüften. »Willst du mir vielleicht sagen, ich könnte einen schlampig angenähten Knopf nicht von einem ordentlich fest sitzenden unterscheiden?«
»Nein, Missis Kerrigan!«, beeilte sich Emily zu versichern und senkte den Blick, um den ohnmächtigen Zorn in ihren Augen zu verbergen. »Wenn Ihr es sagt, wird es wohl so sein. Es tut uns leid. Dieser
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