Earth Girl. Die Prüfung
und der uns nun zwei Optionen eröffnete. Wir konnten Informationen über unsere Eltern anfordern und versuchen, mit ihnen Kontakt aufzunehmen. Außerdem hatten wir einen Versuch, uns von der Erde wegzuteleportieren. Natürlich hatten wir alle bereits jahrelang vorher darüber nachgedacht.
Ich war die Einzige, die verrückt genug war, die Portal-Option zu nutzen. Alle hatten mich gebeten, es nicht zu tun. Issette sagte es sicher an die hundertmal. Die anderen wiederholten es jeder etwa dreißigmal. Candace ungefähr fünfzehnmal. Die Leiterin meiner Next-Step-Einrichtung dreimal. Der Lehrer, der die Geschichts- AG an meiner Schule leitete, sagte es achtmal. Mein ProDad bestand nach über einem Jahr mal wieder auf einem Treffen mit mir, damit er es offiziell auch gesagt hatte.
Selbst Keon unternahm die große Anstrengung anzumerken, dass es keine gute Idee sei. Er meinte, Hospital Earth würde keine Fehler machen. Der letzte bestätigte Fall, dass jemand irrtümlicherweise als behindert diagnostiziert wurde, lag über hundert Jahre zurück.
Das wusste ich alles.
Keon wies darauf hin, dass es unangenehm sein würde. Am Ankunftsort würde mich ein Ärzteteam erwarten, um mich sofort zu versorgen, wenn mein Körper einen anaphylaktischen Schock erlitt. Dann würden sie mich direkt durchs Portal zurück in die Notaufnahme von Hospital Earth schicken, wo schon eine weitere Ärzteschar bereitstände. Er meinte, sie würden mich vermutlich nicht sterben lassen, aber schmerzhaft wäre das Ganze höchstwahrscheinlich doch.
Keon gelang es noch am ehesten, mich zu überzeugen. Und trotzdem tat ich es. Ich wusste, dass Hospital Earth sich nicht geirrt hatte. Ich wusste, was passieren würde und dass ich überhaupt keine Chance hatte, aber ich musste es einfach versuchen. Das Ergebnis waren zehn Sekunden in einer anderen Welt und eine Woche im Krankenhaus.
Eigentlich brauchte ich nur einen Tag Krankenhaus, aber Hospital Earth ist gerne ein wenig übervorsichtig, weil es in sehr seltenen Fällen zu anhaltenden Spätfolgen kommen kann. Ich war kein seltener Fall, und es gab keine Spätfolgen. Ich war bloß ein völlig durchschnittliches Affenmädchen, das zu einem heimtückischen Schicksal verdammt war. Alle kamen mich besuchen, brachten Trauben mit und erklärten mir, wie blöd ich doch gewesen sei. Auch Keon kam, aber er saß bloß da und aß die Trauben.
Mir war egal, dass sie mich alle für dumm hielten. Das war es trotzdem wert gewesen. Ich hatte mich nicht einfach in die passive Opferrolle ergeben. Ich hatte versucht, mich gegen mein Schicksal aufzulehnen, und die unausweichliche Niederlage erlebt, doch ich war stolz, es wenigstens versucht zu haben. Das einzig Nervige war, dass mein Therapeut mich nicht als blöd bezeichnete. Er sagte, das Erlebnis habe eine positive Wirkung auf mich gehabt. Ich sagte ihm, er könne sich seine Meinung sonst wohin stecken!
Meine Freunde mochten mich für bescheuert gehalten haben, weil ich die Portal-Option genutzt hatte, ich wiederum hielt sie für total übergeschnappt, Informationen über ihre Eltern anzufordern. Meine Entscheidung hatte einen körperlich unangenehmen Tag zur Folge, sie jedoch durchlebten geistige Qualen mit emotionalen Folgen, die Jahre andauerten.
Issette war meine beste Freundin, deshalb bekam ich bei ihr alles direkt mit. Als sie Antwort auf ihre Datenbankabfrage erhielt, war klar, dass Issettes Eltern das Übliche getan hatten: das Affenkind loswerden, den jeweils anderen der Neandergene bezichtigen und das Weite suchen. Sie stammten von Beowulf, im Gammasektor. Ihre Scheidung war am Tag nach Issettes Geburt eingeleitet worden. Beide hatten ihre Namen geändert. Issettes Vater lebte nun auf einem Grenzplaneten in Epsilon. Issettes Mutter war ebenfalls umgezogen, aber nur auf einen anderen Planeten im Gammasektor.
Ich fand, dadurch war alles ziemlich klar. Ein zurückgebliebenes Baby hatte das angenehme Norm-Leben ihrer Eltern zerstört, und diese hatten alles getan, um der Sache den Rücken zu kehren. Doch die naive, romantische Issette war sich sicher, dass sie jetzt anders empfinden würden. Sie versuchte, Kontakt mit ihnen aufzunehmen. Ihr Vater schickte eine unpersönliche einzeilige Mail. Der Text war höflich formuliert, aber im Grunde ließ er sich in zwei Worten zusammenfassen: Verpiss dich! Ihre Mutter schrieb eine lange, gefühlsduselige Mail und versprach, Issette zu besuchen, doch dann änderte sie ihre Meinung und verabschiedete sich schließlich
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